■ Bücher.klein: Clintons Amerika
Die Amerikaner, so der Europa-Korrespondent der International Herald Tribune und Autor des 1989 erschienenen „Die Gefühle der Barbaren“, William Pfaff, seien Menschen mit Flossen und Flügeln, kaum verwurzelt, voll des luftigen Optimismus. 1993 ist Europa flügellahm, während in Washington Altpräsident Bush von Clinton mit einem Streich weggefegt wurde. Time for a change, Gezeitenwechsel? Wenn's denn so einfach ginge. Psychologisch scheint das Land geradezu süchtig nach Transformation, ein Wunsch, dem das Clinton-Team als Gesamtkunstwerk entspricht – und ein auch für Europa notwendiges Projektions- und Innovationsfeld, sind doch seine politischen Klassen im Angesicht notwendiger sozial- und wirtschaftspolitischer Kursänderungen paralysiert.
Gerade die richtige Zeit für (schnell)bücherschreibende Journalisten, das „Phänomen Clinton“ zu umreißen, zusammenzukratzen, was über ihn momentan zu sagen ist (der Roosevelt/Kennedy/ Johnson-Mann, Kind einfacher Verhältnisse, ehrgeizig, südstaatlerisch kontaktfreudig, wissensbegierig, ein Mann des Teams, tolle Ehefrau, 68er-Generation, Baby- Boomer...) und das Buch dann: „Clinton – Was Amerika und Europa erwartet“ (Stephan-Götz Richter) oder „Clintons Amerika“ (Eric Frey) zu nennen. Nichts für ungut, die beiden Journalisten um die 30 haben sich redlich bemüht. Frey, Außenpolitik-Redakteur beim österreichischen Standard, u.a. mit einer vernünftigen Gliederung, die auch ein aufschlußreiches Kapitel über die Wahlstrategie und Clintons Führungsstil beinhaltet, für den Politik „erotische Untertöne“ habe. Frey macht deutlich, daß es nicht nur um – diskussionswürdige – Details der wirtschafts- und sozialpolitischen Programme Clintons geht, sondern um dessen Fähigkeit zu kommunizieren, zu regieren, wieder den öffentlichen Raum zu erobern und in einer Art konzertierter Aktion alle gesellschaftlichen Gruppen zu binden, wobei besonders der Mittelstand um milde Spenden gebeten werden soll. Wo Frey die vermeintlich unideologische Verortung Clintons als Mann der radikalen Mitte durchaus auch kritisch goutiert, ist Richters – wirtschaftspolitischer Thinktanker in Washington und Korrespondent des Rheinischen Merkur – Wohlwollen durchgehend. Er betont die „Europhilie“ Clintons gerade im Sozialreformerischen und ist fasziniert von den transatlantischen Wechselströmen: Sozialvertrag und Politik als Management könnten auf beiden Seiten politisch neue Symbiosen eingehen.
Clintons Amtsantritt ist ein faszinierendes Experiment. Gerade deswegen müssen die nächsten Bücher grundsätzlicher und analytischer sein. AS
Eric Frey: Clintons Amerika. Präsident einer neuen Generation. Eichborn, 19,80 DM
Stephan-Götz Richter: Clinton – Was Amerika und Europa erwartet. Bouvier 1992, 219 Seiten, 38 DM
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