: Europa, einig Mutterländer?
■ Über die tiefen Wertedifferenzen im west-östlichen feministischen Dialog/ Frauen als „Ressource“ im nationalistischen Konzert
Mit der Selbsterledigung des realsozialistischen Experiments ist die europäische Welt kleiner geworden, rücken, ungeachtet aller nationalseparatistischen Bewegungen und Kriege, ost- und westeuropäische Länder enger zusammen. Daß mit dem Umbruch in Europa jedoch kein „Aufbruch der Frauen“ einhergegangen ist, zeigt ein zu dieser Thematik erschienenes Heft der Zeitschrift Feministische Studien in unüblicher Weise. Statt der bestallten Koryphäen der westfeministischen Forschung stellen diesmal mit einer Ausnahme osteuropäische Wissenschaftlerinnen ihre Sicht auf die Bedingungen von Frauenemanzipation in ihren Ländern vor. Geplant hatten das die Herausgeberinnen nicht, die zustande gekommenen Beiträge wirken deshalb auch etwas zufällig, beleuchten aber schlaglichtartig die begriffverwirrten Verständigungshürden zwischen Ost und West.
Mit dem Schlagwort „Gleichberechtigung ohne Emanzipation“ versucht Tatjana Böhm die Realität der Frauenbefreiung in der DDR zu umschreiben. Das staatssozialistisch verordnete „Gleichheitsdiktat“ entband die Frauen zwar aus der individuellen Abhängigkeit vom Ehemann, um sie aber gleichzeitig der patriarchalen Fürsorge des Staates zu überantworten. Die Emanzipation als „Subjekt Frau“ stand nicht auf dem Lehrplan der sozialistischen Befreiungsphilosophie und rückt nun zu einem Zeitpunkt ins Zentrum, wo, wie die Herausgeberinnen anmerken, die abendländische (männliche) Subjektkonstitution als Bezugspunkt weiblicher Emanzipation problematisch geworden ist.
Die bisher kaum ausgeleuchteten, unterschiedlichen Lebensrealitäten und Weiblichkeitsentwürfe in Ost und West erschweren derzeit gemeinsame Abwehrstrategien. Was die Beiträge der osteuropäischen Autorinnen präsentieren, vermittelt eine Ahnung davon, wie ungünstig die Bedingungen und wie tief die zu überwindenden Gräben heutzutage sind.
Auffällig häufig klagen die Autorinnen über die durch den Staatssozialismus verdrängte/negierte Weiblichkeit, die verleugnete Differenz als Markierungszeichen in der symbolischen Ordnung. Die Auferstehung geschlechtsspezifischer Symbolik zeichnet Olga Lipovskaja kritisch am Umwertungsbemühen des „Mythos Frau“ in der heutigen sowjetischen Kultur nach. Eben dieser eklatante Mangel an gültigen geschlechtsspezifischen Orientierungen ist für Snejana Zarewa mitverantwortlich für die tiefe Verunsicherung der Geschlechter in Südosteuropa, die, zwischen den Maßstäben des Westens und des Orients aufgerieben, kein stabiles Selbstbild zu entwerfen vermochten. Ihre holzschnittartigen Vereinfachungen transportieren selbst eine Reihe von typischen Vorurteilen über das „lockere“ Geschlechterverhältnis im Westen. Auch Olga Afanassjewa, die der Frage nachgeht, weshalb es in Rußland keine feministische Bewegung gebe, bedauert, daß derzeit „die Mütterlichkeit, diese unnachahmliche Eigenschaft der Frau, die größtenteils ihre Berufung in dieser Welt bestimmt, verlorengeht“. Nun ließe sich Afanassjewas befremdliche Geschlechtertheorie der „zwei Galaxien“, in der die euroasiatische Seele Rußlands ihren Ausdruck finde, mit westfeministischem Achselzucken leicht erledigen. Das Beispiel belegt aber prägnant die tiefen Wertdifferenzen im west-östlichen Dialog und offenbart, daß sich im Bewußtsein auch fortschrittlicher osteuropäischer Frauen das manifestiert, was die Slowenin Vlasta Jalusić für die postjugoslawischen Teilrepubliken als die „Mobilisierung der Mutterschaft“ zum „Grundstein der Nation“ umreißt.
Dabei zeigt die historische Retrospektive, daß immer dann, wenn sich bürgerlich-patriarchalische Nationalstaaten etablierten, die Frauen als „Naturferment des Lebens der Nation“ (Jalusić) ausgebeutet wurden. Die Historikerinnen Hannelore Bublitz und Annette Kuhn interpretieren den Zusammenhang zwischen der „Ideologisierung der Gebärmutter“ und der inthronisierten „Mutter der Nation“ auch als Konflikt zwischen Haus- und Marktwirtschaft, der zugunsten der letzteren auf dem Rücken der Frauen ausgetragen wird. Sowohl die Herausgeberinnen der neu entstandenen Zeitschrift metis, wo dieser Beitrag nachzulesen ist, als auch die der Feministischen Studien kommen zum Schluß, daß ein kulturell-ethnisch begründeter Nationalismus keine Perspektive für die Frauen bereithält. Das ist die Sicht der Westfeministinnen. In den Beiträgen der osteuropäischen Autorinnen liest sich das nicht so eindeutig. Ulrike Baureithel
„Umbruch in Europa, Aufbruch der Frauen?“, „Feministische Studien“ 2/1992, Beltz-Verlag, 22 DM
„Ist die Nation weiblich?“, „metis. Zeitschrift für historische Frauenforschung und feministische Praxis“ 1/1992. Centaurus-Verlag, Pfaffenweiler (Einzelheft 24 DM/ Abo 38 DM. Erscheint zweimal jährlich
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen