■ Zum Tarifabschluß für den Öffentlichen Dienst
: Brave Lobbyisten

Für die konjunkturgeschwächte deutsche Wirtschaft ist der erste Tarifabschluß des Jahres, der immer auch Signal für die folgenden Lohn- und Gehaltsverhandlungen ist, zunächst eine Erleichterung. Bei trüben Geschäftsaussichten und schrumpfenden Gewinnen ist der Verteilungsspielraum in diesem Jahr erheblich enger als in den Vorjahren.

Die Erhöhung der Gehälter im Öffentlichen Dienst um nur drei Prozent statt der schon eingerechneten vier Prozent entlastet die mehr als leeren Staatskassen um immerhin 3,7 Milliarden Mark. Der Tarifabschluß rechtfertigt außerdem nachträglich den Zinssenkungsbeschluß der Bundesbank vom Donnerstag. Denn wenn die Industrie-Tarife dem ÖTV- Abschluß folgen, verlangsamt sich die Lohn-Preis- Spirale und damit die Inflationsgefahr. Die ÖTV zumindest hat also ihr Scherflein zur Bewältigung der Wirtschaftsflaute und zum Solidarpakt beigetragen.

Die Tarifunterhändler könnten somit stolz darauf verweisen, über den eigenen Nabel hinausgeschaut zu haben. Interessanterweise aber tun sie genau das nicht. Der Solidarpakt und die Tarifverhandlungen seien „zwei verschiedene Paar Stiefel“, weshalb der Drei-Prozent-Abschluß mit dem Solidarpakt nichts zu tun habe, wies Monika Wulf-Mathies jedes Lob aus den Reihen der Tarifpartner zurück. Immerhin: Die ÖTV-Vorsitzende ist ehrlich. Die Drei vor dem Komma wurde erreicht, so ihre Begründung, weil „mehr nicht drin“ war für die Klientel als der knappe Inflationsausgleich.

Tarifpolitik ist für die ÖTV also weder Wirtschafts- noch Gesellschafts- und schon gar keine Sozialpolitik. Denn wäre es den trotz Rezession und trotz der desaströsen staatlichen Finanzen unkündbaren Besitzern öffentlicher Arbeitsplätze ernst gewesen mit ihrer „sozialen Komponente“ – sie hätten sie erreichen können. Allerdings hätten dann die oberen und mittleren Einkommensgruppen zugunsten der unteren auf die Drei vor dem Komma verzichten müssen, weil die Drei plus Sozialkomponente angesichts der Löcher in den Staatshaushalten nicht bezahlbar gewesen wäre.

Der Verzicht hätte zwar für viele ÖTV-Mitglieder in diesem Jahr einen realen Einkommensverlust im Vergleich zum Vorjahr bedeutet. Er hätte aber als Signal den Gewerkschaften einen enormen Glaubwürdigkeitsschub gegeben – gerade für die Solidarpaktdiskussion. Statt dessen reiht sich die ÖTV brav in die Reihen all jener Lobbyisten ein, denen der persönliche Besitzstand das höchste Gut ist. Sollen die „Gerechtigkeitslücken“ doch andere schließen. Daran ändern die zehn Mark extra für jedes Kind – etwa fünf Portionen Pommes – nichts. Donata Riedel