■ Bonn-apart
: Nibelungenkanzlertreue

Bonn (taz) – Die Fronten in der FDP verlaufen neuerdings so: Auf der einen Seite stehen die Vertreter eines Schmusekurses gegenüber der Union. Auf der anderen Seite gibt es diejenigen, denen das Kuscheln mit dem Kanzler nicht mehr reicht. Sie wünschen die innige Verschmelzung. Für die letzteren stehen Fraktionschef Hermann Otto Solms und ein Großteil der Bonner FDP-Fraktion. Da Otto Graf Lambsdorff zur anderen Seite zu zählen ist, durfte er dieser Tage eine Rolle spielen, die ihm einigermaßen neu sein dürfte: die des unbeugsamen Liberalen.

Daß er kürzlich öffentlich das Wort „Ampel-Koalition“ in den Mund genommen hatte, schmeckte vielen Freidemokraten nicht – obwohl Lambsdorff seine Worte gleich wieder relativierte. Erst recht sorgte der Parteichef für Ärger, als er indirekt einen Koalitionsbruch androhte, sollte die Union im Streit um die Awacs-Flugzeuge die FDP zu etwas zwingen, was aus freidemokratischer Sicht immer noch ein Verfassungsbruch ist: einer deutschen Beteiligung an Kriegshandlungen außerhalb des Nato-Gebietes.

Viele FDP-Parlamentarier sehen das nicht so hart. Der nordrhein-westfälische Abgeordnete Paul Friedhoff, der sich kürzlich durch seine vergebliche Kandidatur für das Amt des Wirtschaftsministers einen Namen gemacht hatte, beschwerte sich in einem Brief an die Fraktionskollegen über Lambsdorffs Äußerungen. Mit der Folge, daß die Fraktion am Dienstag zwei Stunden lang über die schweren Fehltritte ihres Parteivorsitzenden Graf Lambsdorff stritt. Solms beteuerte tags darauf öffentlich seine Treue zur Koalition und verurteilte – ohne Lambsdorff beim Namen zu nennen – die „Gedankenspiele einzelner“.

Die Solms-Truppe kann es offensichtlich gar nicht mehr erwarten, daß Klaus Kinkel – wie geplant – im Juni von Lambsdorff den Chefposten übernimmt. Kinkel und der neue Wirtschaftsminister Günther Rexrodt, so ließen die Lambsdorff-Kritiker verlauten, müßten nun als Zugpferde für die nächsten Wahlen aufgebaut werden.

Keine Rede von Justizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger – warum auch. Liberales Profil bewähre sich eben schon lange nicht mehr an der Verteidigung des Rechtsstaats, resignierte gestern einer der letzten linksliberalen Abgeordneten. Liberalismus heute: Das heißt einfach Kanzlertreue. Hans-Martin Tillack