Vom Hochmut der Empore zum kalten Waterloo

■ Das multimediale Tanzprojekt Titanic von der belgischen Gruppe Plan K hatte Premiere auf Kampnagel

von der belgischen Gruppe Plan K hatte Premiere auf Kampnagel

Wie brüchig das Fundament gesellschaftlicher Wunschvorstellungen ist, wurde von Mutter Geschichte mit der Titanic in eine einmalige Metapher gegossen, die noch heute gilt. Das Hohngelächter der Naturgewalten über die technische Verblendung blieb den Menschen auch zur Jahrtausendwende als ungemütliches Gefühl haften und hat immer wieder Künstler dazu bewogen, sich mit der Katastrophe zu beschäftigen.

Der belgische Regisseur und Choreograph Frédéric Flamand und der italienische Künstler Fabrizio Plessi, dessen schöne Arbeiten mit Video über Wasser ihn wie keinen anderen zur Mitarbeit an diesem Thema prädestinieren, nähern sich dem Waterloo der Technikgläubigkeit von der Stimmungsseite. Dabei lassen sie unaufhörlich äußere und innere Gewalten ineinander übergehen. Tänzerisch dargestellte Wellenbewegungen verändern sich unmerklich in seekranke Passagiere an der Reling. Wind auf dem Sonnendeck gebiert plötzlich Unruhe und aus Melancholie entspringenden Wahnsinn.

Überhaupt spielen unerklärliche Befürchtungen und die Antizipation des Untergangs eine zentrale Rolle in der Choreographie bis zum eintretenden Unglück. Wenn hoch oben auf der vieläugigen Bordwand sich aus einer gespenstischen Stimmung barocke Tanzformationen entwickeln, die dann plötzlich wieder von Angst und Erregung unterbrochen werden, so fühlt man sich ebenso in den Vorabend der Weltkriege versetzt, wie an tierisches Verhalten vor Erdbeben erinnert.

Die eigentliche Geschichte des Schiffsunglücks aber darf Plessi mit seinem Bühnenbild und in die Szenerie projizierten Filmen erzählen. Das beginnt mit dem Film vom Stapellauf des Luxusliners, den Flamand mit einem expressiven Ballett der „Arbeiter“ mit großen Kabelrollen kontrapunktiert, und endet mit dem Versinken des Schiffes in einem Monitor. Dazwischen spielt Plessi mit Zitaten und Symbolen. Ein riesiger rotierender Diamant bedeutet den verhängnisvollen Eisberg, die Bordwand, die an Fellinis berühmte Schiffsszene aus Amarcord erinnert, zeigt erst den Hochmut der Empore, dann das Bersten und die Öffnung auf die eisige Leere. Eine filmische Fahrt durch Styrophor-Eis endet schließlich in einem etwas überflüssigen Caspar David Friedrich-Zitat. Kühlschränke werden Rettungsboote und eine Monitorschaukel ist der Ort eines Todeskampfes, der mit „Lichtausknipsen“ endet.

Flamand führt seine vierzehn Tänzer zu Musik von Alfred Schnittke, die live gespielt wird, und Charles Ives vom Band über die Palette menschlicher Gefühle, allerdings in abstrakter, unpersönlicher Form. Dabei unternimmt er konsequent die Konfrontation der Passagier- mit der Arbeitsswelt, die nach Drehung der Bordwand auf der Rückseite mit einem Maschinenraum auftaucht. Trotz der kon-

1sequenten Untertemperierung der Choreographie, gelingen ihm viele eindrucksvolle Momente, etwa das Pas de deux eines Boxers mit einer Primaballerina.

Das Schwarz-grau-weiss der Ausstattung rundet die schlüssige Gesamtkonzeption ab, die in ihrer brillanten Schönheit fasziniert, wenn auch selten ergreift. So kühl wie Werk und Thema blieb dann auch der Applaus. Till Briegleb