Tohuwabohz - Stasi im Kopf

■ Der nette Onkel von der Stasi-Desinformation / Falsches und was wir alles gegleubt haben

Tohuwabohu — Stasi im Kopf

Der nette Onkel von der Stasi-Desinformation / Falsches und was wir alles geglaubt haben

„Tohuwabohu“ sollte eine „Redeschlacht ohne Regeln“ werden, eine Talk-Show, bei der die Fragen gestellt werden dürfen, die im Fernseh-Studio nicht gestellt werden. Eine Kulturform des harten Dialogs — die gelernt sein will.

Stasi-Kontaktmann und Grüner wollten einfach nicht streiten

Tohuwabohu-Talkmaster Jürgen Alberts experimentiert deshalb, wie er sagt, mit dieser nächtlichen Gesprächsform. Die beiden Gäste der Nacht des vergangenen Samstags wollten — und konnten — sich nicht schlagen: Herbert Brehmer, „mein Stasi-Kontaktmann“, Offizier in der Abteilung Desinformation der Hauptverwaltung Aufklärung, wie Alberts ihn einführte, und Martin Thomas, Bremer Innenpolitiker, erstes grünes Mitglied in einer „Parlamentarischen Kontrollkommission“ (PKK) des Verfassungsschutzes. Nur einmal drohte das Gespräch der Runde aus dem gemütlichen Sessel zu gleiten: als nämlich Thomas der Staatssicherheit insgesamt verbrecherischen Charakter vorwarf. Das mochte der Stasi-Mann nicht anerkennen, sich nicht von der Tätigkeit der Stasi insgesamt distanzieren.

Atemberaubend war es dennoch, was der Stasi-Offizier aus seiner 70 Mann starken „Abteilung Desinformation“ der HVA da in gemütlicher Runde erzählte: Wie er die Dokumente über Heinrich Lübkes Tätigkeit in der Nazizeit so fälschte, daß die westliche Linke an Beweise für den Vorwurf „KZ-Baumeister“ glauben konnte, wie er ein angebliches internes Verfassungsschutz-Papier verfaßte und lancierte, um den gegnerischen Dienst zu beschäftigen, wie er das Protokoll des abgehörten Telefonats Strauß-Scharnagel (1976) so fälschte, daß es belastender in der Lockhead-Affaire erschien. Sowohl Martin Thomas wie Jürgen Alberts räumten ein, daß sie das alles geglaubt hatten. Im Dienst der Bekämpfung des in

Gezielte Gerüchte gegen den inneren Feind

neren Feindes half die HVA in den 80er Jahren aus — Brehmer erzählte, daß er über den DDR- Schriftsteller Harald Faust Westagenten-Gerüchte streute, um ihn in Bürgerrechts-Kreisen zu diskreditieren. Und dabei lächelte der Stasi-Offizier freundlich, blieb er der sympathische Mann mit jüdischer Mutter und mehreren KZ- Schicksalen im Stammbaum, dem man seine hohe antifaschistische Moral gern abnimmt.

Im Vergleich zu derartigen Machenschaften ist der personell etwa gleichstarke Bremer Verfassungsschutz ein Waisenknabe, mußte Thomas einräumen. Eine Abteilung Desinformation gibt es nicht, die Kenntnisse des VS gehen vielfach über das, was in Zeitungen steht, nicht hinaus. Rechtsextremismus? „Es gibt keinen Fall, wo Kenntnisse des Bremer Verfassungsschutzes irgendwas verhindert hätten“, sagt Thomas.

Thomas fürchtet das „Eigenleben“ eines solchen Apparates, der „Indianerspiele für Erwachsene“ organisiere und die Mitarbeiter auf Dauer „neurotisch“ werden lasse. „Das stimmt. Geheimdienstler wie ich sind nicht ganz normal“, stimmte der Stasi-Mann Brehmer zu. Die Überlegung, wie man dem Strauß-Bild der West-Linken mit Fälschungen Futter geben könne, „das war kreativ, das hat Spaß gemacht“. K.W.

Verhalten offen plaudert Herbert Brehmer zusammen mit Günter Bohnsack über seinen „Auftrag Irreführung, Wie die Stasi Politik im Westen machte“, 254 Seiten, Carlsen-Verlag (Hamburg, 1992)