Gut Flug

■ Wie Harry Warrelmann seine sechste Bombe sprengte und dem Diako die Patienten davongetragen wurden

Hinten hatte der Stahlmantel der Bombe Löcher. Früher war dort einmal das Leitwerk befestigt, das im Fallen aber abreißt. In eines dieser Löcher hatte Sprengmeister Harry Warrelmann ein Gewinde geschnitten, den Bolzen eingedreht und daran ein Seil befestigt. Über Funk gab er dann präzise Anweisungen zum Bedienen der Seilwinde. Die stand in etwa 20 Meter Entfernung von der Bombe entfernt, Sichtkontakt gab es nicht. Warrelmann und sein Kollege Gerd Litzenburger korrigierten die Bewegungen der Bombe mit ihren Händen. Nichts durfte haken, geschweige denn festsitzen. Nur drei Meter mußte die Bombe bewegt werden, unter den Gleisen weg in einen eigens vorbereiteten Krater. Jede Bewegung konnte die Explosion auslösen.

Fünfzehn Minuten brauchten die beiden Sprengexperten, um die fünf-Zentner-Bombe in den Krater zu hieven. Zu entschärfen war sie nicht mehr, also ab damit in die Luft. Es war genau 11.43 Uhr, als Warrelmann das Ende des drei-Meter-Transportes meldete. Acht Minuten später war es soweit. „Wir haben jetzt alles vorbereitet und zünden sofort.“ Sekunden später knallte es und eine dünne Rauchfahne stieg in den Himmel.

Gröpelingen gestern morgen zwischen zehn und zwölf Uhr. Die Bombe liegt direkt unter den Bahngleisen beim Industriehafen auf der Höhe Adelenstraße. Zum sechsten Mal seit vier Jahren muß Warrelmann sprengen. Bereits am Samstag war das Diakonissen-Krankenhaus leergeräumt worden, gestern folgte der Stadtteil. Die Polizei hat zwei Sicherheitszonen eingerichtet: Etwa 500 Haushalte müssen komplett evakuiert werden. Ab 10 Uhr „ziehen wir einen Ring aus Beamten um das Gebiet, es kommt niemand mehr rein“, erklärt Polizeioberkommissar Rolf Siebert. Etwa 100 Beamte machen dafür Sonderschichten.

Elf Uhr: „Es hat bis jetzt alles reibungslos geklappt.“ Einsatzleiter Rainer Zottmann ist mit dem ersten Teil des Tages zufrieden. Die Bevölkerung hat mitgespielt, die Sicherheitszone ist menschenleer, die Beamten warten jetzt in sicherer Entfernung im Industriehafen. Auch Polizeipräsident Rolf Lüken ist da. „Ich habe Herrn Warrelmann heute morgen gefragt, ob es einen typischen Gruß unter Sprengexperten gibt“, erzählt er: „Gut Flug“, habe Warrelmann geantwortet. Natürlich ist die Bombe gemeint.

Es darf nicht knallen, bevor Warrelmann sich gemeldet hat. Ein Kamerateam vom NDR bittet eine Streifenwagenbesatzung, doch bitte für eine kurze Aufnahme das Blaulicht anzumachen. Action muß sein. Vor Ort haben mehrere Fernsehteams ihre Anlagen installiert. Sprengmeister Warrelmann soll sie per Knopfdruck auslösen, kurz bevor er sprengt. Auch das gehört zu seiner Arbeit.

Warrelmann kennt den Zünder, aber nicht den Sprengstoff. „Wir sind vom schlimmstmöglichen Fall ausgegangen“, sagt er, entsprechend seien die Vorbereitungen getroffen worden. 350 Kubikmeter Sand sind aufgeschüttet. Die Bombe im Krater mit 130 Strohballen zu je vier Zentnern Gewicht abgedeckt. „Das vermindert die Druckwellen, während gleichzeitig Gase entweichen können“, erklärt Siebert. Außerdem sind rund um den Sprengkrater Gräben gezogen worden, damit sich der Druck nicht über den Boden ausbreitet. Wie stark wird die Detonation, was wird kaputt gehen?

Kurz vor zwölf, alles vorbei. Die Bombe ist gezündet, Warrelmann wartet mit seinem Kollegen Litzenburger auf die Journalisten. Er ist mit seiner Arbeit zufrieden, es scheint wenig zerstört. „Es ist alles so gekommen, wie wir es geplant haben, jetzt muß nur noch jemand kommen und hier fegen.“ Die Gleise sind mit Stroh bedeckt, der Erdhügel um die Bombe ist in den Krater gesackt. Die Anspannung hat sich in die Gesichter der beiden Sprengstoffexperten eingegraben, die Anstrengung ist spürbar, auch wenn schon wieder geflaxt wird. „Jetzt aber schnell Mittag essen, bevor's kalt wird.“

Gleich nach der Entwarnung beginnt auch im Diakonischen Krankenhaus wieder das große Einräumen. „Bislang haben wir keine Schäden entdecken kön

hier Jungen

hinter Stroh

Wenige Minuten nach der SprengungFoto:Tristan Vankann

nen“, berichtet der kaufmännische Leiter des Diako, Walter Eggers. Alle Versorgungseinrichtungen müssen überpüft werden, die Operationssäle, die Aggregate, Geräte, Technik etc. Am Nachmittag liegen die ersten Patienten wieder in ihren Betten, bereits heute früh sollen die ersten Operationen laufen. Insgesamt 1,3 Millionen Mark Einnahmen hat das Krankenhaus

durch das patientenfreie Wochenende eingebüßt, die Summe für die Evakuierung ist noch nicht bekannt. „Wir haben ein Extrakonto eingerichtet. Wie hoch die Kosten werden, weiß ich nicht“, sagt Eggers. Wer zahlt? „Dazu möchte ich nichts sagen. Ich habe einen Brief an den Innensenator geschrieben, aber noch keine Antwort erhalten.“ Markus Daschner