Sanssouci
: Vorschlag

■ „Fräulein Else“ von Arthur Schnitzler in der Rost-Bühne

Else ist 19 Jahre alt, charmant, schön, intelligent. Else hat viel Zeit: Die Schulzeit ist beendet, der rechte Mann ihr noch nicht über den Weg gelaufen. Eigentlich könnte sie sehr glücklich sein. Nun lebt Else im Österreich der Jahrhundertwende, das sich durch Vorurteile, Dekadenz und Intoleranz gegenüber den sozial Schwächergestellten auszeichnet. Und als ihr Vater, der zwar als Genie gilt, aber unfähig ist, mit Geld umzugehen, in große finanzielle Schwierigkeiten gerät, soll Else das Ansehen der Familie retten und den reichen Herrn Dorsday dazu bewegen, die fehlende Summe vorzuschießen.

Mit einem kleinen, verzweifelten Lachen am Ende jedes Satzes versucht Lilian Naef als Fräulein Else, sich Mut zuzureden. Sie soll ausbaden, was ihre Eltern verbockt haben? Den alten, schmierigen Dorsday becircen? Und was ist, wenn sie es nicht über sich bringt? Dann landet der Vater im Gefängnis, die Familie – und damit auch sie – wäre nicht mehr „gesellschaftsfähig“. Als inneren Monolog hat Schnitzler, der Seelenforscher, die rührige Geschichte der kleinen Else angelegt. Schnitzler, dessen Bewunderer Freud die fundierte Tiefe seiner Figuren schätzte, läßt Else in kurzen anderthalb Bühnenstunden die Polarität von Leben und Tod ausloten. Die Aktualität der Problematik mag bezweifelt werden, der Ort der Handlung mit seinen vorherrschenden Gesellschaftsstrukturen ist dem heutigen Zuschauer sehr fern. Aber Schnitzlers „Else“ wird lebendig und faßbar durch tief empfundenes Spiel und ist dann so spannend, wie Theater nur eben sein kann.

Auf Lilian Naefs Spiel setzt auch Regisseurin Lore Stefanek, die ihrer Schauspielerin viel Raum läßt für die konzentriert-verpackten Seelenqualen der Else. Lilian Naef, die im letzten Jahr die Schaubühne verließ, um als Sister Lilo der „Geschwister Pfister“ zu brillieren, überzeugt hier zunehmend: zunächst als das unbekümmerte, fröhliche Mädchen, das in Gedanken ihre Verehrer neckt, bis der Brief der Mutter kommt, der fast Unmögliches von ihr fordert und sie alle möglichen Alternativen durchspielen läßt; dann zum Schluß im Gespräch mit Dorsday, der zahlen will, aber nur, wenn er sie für zehn Minuten nackt sehen darf.

Lilian Naef, eins geworden mit ihrer Figur, spielt mit mutiger Verzweiflung gegen ihr Schicksal an. Sie ist wütend über ihren sabbernden Peiniger, will ihn töten, und dann – mit zittrigem Griff zum Veronal-Fläschchen – sich selbst. Kein Ausweg ist zufriedenstellend, sie muß sich für 30.000 Gulden verkaufen. Muß sie? Über ihren Gedanken bricht sie zusammen, ihr Geist ist verwirrt, das Lächeln verschwunden. Else ist gescheitert, aber Lilian Naef wird sie wohl noch eine Weile kämpfen lassen in dieser runden, gelungenen Kammerproduktion. Anja Poschen

Bis 13.2., täglich (außer Di.), 20.30 Uhr, Rost-Bühne.