Klappe für ein Filmhaus

■ Die Stiftung Deutsche Kinemathek hat Geburtstag

Dreißig Jahre wird die Stiftung Deutsche Kinemathek in diesem Jahr alt. Am 1. Februar 1963 nahm sie noch als Verein unter dem ersten Direktor und Regisseur Gerhard Lamprecht ihre Arbeit auf. Anlaß genug für Hans Helmut Prinzler, Direktor der Stiftung Deutsche Kinemathek seit 1990, Rückblicke und Ausblicke auf einem Pressetermin zu geben. Über den großen Wermutstropfen besteht für alle MitarbeiterInnen kein Zweifel: Bis auf weiteres muß in den beengten Räumen des Deutschlandhauses unterm Dach des SFB gearbeitet werden. Ursprünglich wollte und sollte die Kinemathek 1995, wenn die bewegten Bilder hundert Jahre alt werden, ihr lange geplantes Filmmuseum am Potsdamer Platz bezogen haben. Die Irrungen und Wirrungen zwischen Bundesregierung, Senat, Daimler-Benz und Sony um Bebauung, Untertunnelung und moderne Paläste an dem Wüsten- Platz machen aber einen langen Atem nötig: „Frühestens 1998 bis 2001 wird daraus etwas werden“, bekannte Prinzler geduldig. 1985/86 erwarb das Land Berlin, das zwei Drittel des Haushalts der Stiftung Deutsche Kinemathek finanziert (den Rest steuert der Bund bei), das Esplanade-Terrain für das Filmhaus und verkaufte an den Sony-Konzern. Über die Rechtmäßigkeit der Verträge berät zur Zeit der Europäische Gerichtshof in Brüssel: „Wir warten gespannt auf die Entscheidung.“

Für Prinzler ist der Vertrag mit dem Nippon-Multi über das Filmhaus Ausgangspunkt aller weiteren Pläne der Stiftung Deutsche Kinemathek. Das immens gewachsene Archiv braucht Platz, und die großen Nachlaßsammlungen benötigen adäquaten Raum, um repräsentiert zu werden. Nicht zuletzt „wollen wir uns nicht von dem kulturpolitisch wichtigen Standort davonstehlen“. Die Ungewißheiten in der Standortfrage Filmmuseum beeinträchtigen immer wieder Verhandlungen über wichtige Ankäufe filmhistorischer Sammlungen für Berlin. Zur Zeit lagern viele der Schätze im verborgenen: Eine Spandauer Lagerhalle von tausend Quadratmetern ist rappelvoll. Der Mietvertrag mit dem SFB für die Räume an der Pommernallee läuft bis Ende 1995 mit der Hoffnung auf weitere Nutzung.

Die Ausstellungsbilanz 1992 fällt umfangreich aus: Ernst Lubitschs 100. Geburtstag, Berlinale- Retrospektive „80 Jahre Babelsberg“, Hal-Roach-Hommage, Helmut-Käutner-Werkschau in der Akademie der Künste und die publikumsträchtige UFA-Schau, die gegenwärtig noch im Deutschen Historischen Museum zu sehen ist. 1993 sind die Pläne bescheidener, da auch die Stiftung Deutsche Kinemathek eine Fünf-Prozent-Kürzung ihres Drei-Millionen-Haushalts zu erwarten hat.

Die Vorbereitungen auf das Filmjahr 1995 sind mithin ohne finanzielle Zuschüsse der Klassenlotterie, die auch in der Vergangenheit Mittel lockermachte, nicht zu bewerkstelligen. Eine Geschichte des deutschen Films, an der seit anderthalb Jahren gearbeitet wird, soll ebenfalls 1995 erscheinen. Gleichzeitig wird eine zentrale Berliner Filmausstellung vorbereitet. Die diesjährige Retrospektive ist dem Cinemascope- Film gewidmet mit Produktionen aus den fünfziger und sechziger Jahren, der klassischen Phase der „breiten Bilder“, produziert von der Twentieth Century-Fox. Conradt Veit wird anläßlich seines 100. Geburts- und 50. Todestages geehrt, Gregory Peck ist die Hommage 93 gewidmet. In Zusammenarbeit mit Sat.1 wird eine rekonstruierte Fassung des Monster- Klassikers „King-Kong“ von 1932 aufgeführt werden. Eine Nachbildung Kongs soll derweilen nostalgisch über dem Zoo-Palast thronen und später die Kinemathek- Sammlung „Special Effects“ ergänzen, die ab Sommer im BavariaFilmPark zu sehen sein wird. Für Ende des Jahres gilt es noch einen – umstrittenen – Hundertjährigen zu feiern: Heinrich George. Damit ist es denn auch genug. Prinzler betonte, daß die Ausstellungen und Retrospektiven der Stiftung Deutsche Kinemathek weiterhin dem Werk eines Schauspielers und Regisseurs verpflichtet sein müssen und weniger von Todes- oder Geburtstagen diktiert sein sollten.

Neueste Glanzstücke der Kinemathek-Sammlung sind neun Originaldrehbücher des deutschen Stummfilmregisseurs Friedrich Wilhelm Murnau, neben Fritz Lang der wichtigste und einflußreichste Filmregisseur der Weimarer Republik. Zur Sammlung gehören vier bisher unbekannte Bücher des expressionistischen Filmschriftstellers Carl Mayer. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Aufarbeitung der Dokumente zum „Film-Exil“, dem auch eine gleichnamige neue Publikationsreihe gewidmet ist. Im Zentrum steht der Nachlaß der berühmten amerikanischen Agentur Paul Kohners. Über den Ankauf von Koffern der Marlene D. bewahrte Prinzler Stillschweigen. Mehr, als daß dieser „ungeheuer interessant“ sei, war ihm nicht zu entlocken. Und die Garage des deutsch-amerikanischen Regisseurs Robert Siodmak scheint auch randvoll zu sein mit Filmhistorie. Klappe für ein Filmhaus! Yvonne Rehhahn