Abwicklung und Aufbruch

DEFA-Nachwuchsregisseure auf dem „freien Markt“/ Bilanz einer Filmreihe im Arsenal  ■ Von Andreas Nowak

Mit der Auflösung der DEFA ist zugleich ein ökonomischer Anachronismus besonderer Art beendet worden. Im DDR-Monopolunternehmen in Sachen Film gab es die im Westen rare Festanstellung mit sicherem Gehalt auch für künstlerische Mitarbeiter. Nur waren angesichts eines Stamms von 35 DEFA-Regisseuren und einer Jahresproduktion von rund 15 Spielfilmen die Arbeitsmöglichkeiten knapp – schlechte Bedingungen für den ambitionierten Nachwuchs, der nach abgeschlossener Regie-Ausbildung die Eignungsprüfungen der DEFA-Leitung zu überstehen hatte. Viele Absolventen der Filmhochschule blieben in diesem Gängelsystem von „Debütfilm I bis IV“ stecken und dem unsicheren Status eines „Nachwuchsregisseurs“ noch mit Mitte vierzig unterworfen.

Was aus dem „letzten DEFA- Nachwuchs“ unter den Bedingungen des „freien Marktes“ geworden ist, diesen „Versuch einer Spurensicherung“ unternahm eine Filmreihe im Berliner „Arsenal- Kino“ am Beispiel aktueller Arbeiten von 13 früheren DEFA- Nachwuchsregisseuren, jeweils ergänzt durch einen Film aus der Zeit vor der Wende. Die seltene Chance zum systematischen Einstieg in die ostdeutsche Kinematographie also. Um so verwunderlicher ist das Desinteresse an dieser Reihe, enthielt sie doch eine Werkauswahl fast der gesamten sogenannten „Nachwuchsgruppe“ der DEFA, einschließlich der Arbeiten jüngerer Regisseure wie Andreas Kleinert und Peter Welz.

Zu den bekannten Namen zählten Helke Misselwitz, als Dokumentarfilmerin („Winter adé“, „Wer fürchtet sich vorm Schwarzen Mann“) über die DDR hinaus geschätzt, Herwig Kipping („Das Land hinter dem Regenbogen“), der vom DDR-Fernsehen kaltgestellt und bei der DEFA vor der Wende ohne Chance zum Talentbeweis war, oder Peter Kahane („Die Architekten“), der nach dem Diplomfilm fünf Jahre bis zu seinem ersten langen Spielfilm („Ete und Ali“) warten mußte.

Peter Kahane, wie Misselwitz der Nachkriegsgeneration angehörend, landete 1984 mit „Ete und Ali“ in der DDR einen Überraschungserfolg. Im Mittelpunkt der für ein jugendliches Publikum inszenierten Komödie um ein ungleiches Freundespaar stehen die Alltagsprobleme nach der Armeezeit. Realistisch fügen sich die beiden Helden nach halbherzigen Ausbruchsversuchen. Prag war weit, und „zu Hause schmeckt die Bockwurst doch am besten“. Sehnsüchte werden begraben in einer kleinen heilen Welt mit Auto, Heirat, Kind und Vollkomfort im Plattenbau. Heute ein Film mit bitterem Nachgeschmack.

Dem Genre treu blieb Kahane 1992 mit „Cosimas Lexikon“, der mit vergleichsweise hohem Aufwand und ohne Fernsehbeteiligung von der Westberliner „Rialto-Film“ hergestellt wurde. Die gelungene ironische Komödie um die Verteidigung einer (Ost-)Berliner Hinterhofidylle gegen (West-)Immobilienspekulanten, temporeich inszeniert und prominent besetzt (Iris Berben, Ralf Richter), war allerdings an der Kinokasse ein Flop. Dennoch äußerte sich Kahane optimistisch – sei es ein gelungener Versuch gewesen, schneller als bei der DEFA üblich zu inszenieren. Zudem ließe sich mit einem guten Drehbuch heute immer ein Geldgeber für die Realisation finden.

In der DDR hatten Spielfilmszenarien über gesellschaftliche Minderheiten kaum eine Chance, blieben politisch konfliktträchtige Themen bis zur Wende tabuisiert. Aber es gab Ausnahmen. Evelyn Schmidt beispielsweise wagte sich 1982 mit ihrem Alltagsfilm „Das Fahrrad“ weit vor. Die Schilderung der verzweifelten ökonomischen Situation einer alleinerziehenden Mutter barg Sprengstoff angesichts immer größerer durch Bildung und Einkommen gegenüber der angeblich „führenden“ Arbeiterklasse privilegierter Schichten.

Die kritische Sicht auf die Lebensbedingungen in der sozialistischen Ellenbogengesellschaft gehörte auch im Dokumentarfilm der DEFA zu den Ausnahmen – die „Kaiser-Geburtstagsfilme“ im Dienste der Selbstinszenierung von Partei und Staat überwogen. Ein Beispiel für gelungene ostdeutsche Dokumentaristen waren in dieser Retrospektive die Frauenporträts in Helke Misselwitz' Film „Winter adé“, in denen differenziert und ohne Larmoyanz gesellschaftliche Realität aus dem Jahr 1988 aufgezeichnet ist, über harte Arbeit, schlechte Bezahlung, Zukunftsängste, kaputte Ehen, gescheiterte Träume.

Dem virulenten Problem des Rassismus im neuen Deutschland wandte sich Helke Misselwitz in dem 1992 in Koproduktion mit dem Fernsehen hergestellten Spielfilm „Herzsprung“ zu. Doch die maniriert inszenierte Geschichte von der Gänserupferin Jahanna, ihrem schwarzen Prinzen und den bösen Jungnazis ist leider keine ostelbische Groteske, sondern nur ein Märchenfilm geworden.

Natürlich ist das Interesse an der Auseinandersetzung mit der neudeutschen Gegenwart verständlich, doch hat man häufig den Eindruck, die Filmemacher hetzten den Ereignissen wie Fernsehjournalisten hinterher, anstatt die unmittelbare (DDR-)Vergangenheit zu benutzen, um das Publikum vor dem Hintergrund gemeinsamer Erfahrungen mit neuen Sichtweisen zu konfrontieren.

In dieser Hinsicht zu den interessantesten Beiträgen der „Nachwuchs“-Regisseure gehörte „Verlorene Landschaft“, der erste lange Spielfilm von Andreas Kleinert (Jahrgang 1962). Nach seinem auf dem Münchener Festival der Filmhochschulen preisgekrönten Diplomfilm „Leb wohl, Joseph“ von 1989 wieder eine Geschichte über Flucht, Rückkehr und Identitätssuche. In „Verlorene Landschaft“ besucht ein erfolgreicher westdeutscher Politiker das Haus seiner Eltern in Ostdeutschland. Dieser Ort einer isolierten Kindheit, wo ihn die Eltern abgeschirmt vor der feindlichen Umwelt aufgezogen hatten, von wo er über die Grenze in den Westen geflohen war, wird zum Katalysator einer biographischen Reflexion vor dem Hintergrund deutscher Wirklichkeit. Eigentlich ein Film fürs Kino, doch einen Verleih müßte der Regisseur selbst suchen. Für den Auftraggeber ZDF sind außerhalb des Bildschirms „nur die großen Festvals interessant“ (Kleinert). Dabei drängt die Zeit – schließlich müssen neue Drehbücher geschrieben und auf die Reise durch Fördergremien, Produktionsbüros und Sendeanstalten geschickt werden.

Die Phase des Übergangs, der „Zwischenzeit“, für die früheren DEFA-Filmemacher ist vorüber. Die meisten der im „Arsenal“ gezeigten neuen Spielfilme waren noch Produktionen der (gewendeten) DEFA. Dennoch ist die Stimmung verhalten optimistisch, denn die einstige Nachwuchsgruppe hat sich flexibel auf die neuen „Markt“-Bedingungen eingestellt. Einige Regisseure haben sich an neuen Produktionsgesellschaften oder dem Aufbau der ostdeutschen Filmförderung beteiligt, viele mit den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten und ihren „Kulturkanälen“ gearbeitet – insgesamt ein erfolgreicher Aufbruch.