Mehr Demokratie und Bürgersinn-betr.: Berichterstattung über den Start des österreichischens gegen Ausländer von Haider, taz vom 25./26.1.93

betr.: Berichterstattung über den Start des österreichischen Volksbegehrens gegen Ausländer von Haider, taz vom 25./26.1.93

Wir befinden uns in einer Zeit, die lebensnotwendig mehr Demokratie und mehr Bürgersinn benötigt. Denn die Probleme der Zukunft können nicht von „dem Staat“ und „den Politikern“ gelöst werden, sondern nur von uns BürgerInnen selbst. Doch davor schreckt mit vereinter Stimme fast das gesamte politische Lager, links wie rechts, zurück und sagt, jetzt das Recht auf Volksbegehren und Volksentscheid einzuführen, sei viel zu gefährlich! Und gerne wird dann auf das Haider-Volksbegehren verwiesen, das Österreich seit Monaten beschäftigt. Aber das ist viel zu kurz gedacht.

Die Zukunft wird zeigen, ob Haider letztlich nicht sogar einem ausländerfreundlicheren Österreich auf die Beine geholfen hat. Das Volksbegehren hat die österreichische Öffentlichkeit wachgerüttelt. Kirchen, Künstler, Verbände, Parteien, Prominenz und BürgerInnen – bei der Wiener Lichterkette 250.000! – sind aus der Lethargie erwacht und engagieren sich nun gegen Fremdenhaß. Ein klares Bekenntnis – dank Haider.

Eine Gesellschaft besteht aus Menschen und funktioniert also auch wie ein Mensch. Am gefährlichsten sind Komplexe, Triebe und Traumata, die im Unbewußten gähren. Das weiß seit Freud heute jede/r. Sobald das, was im Unbewußten sein Unwesen treibt, ins Bewußtsein gehoben wird, verliert es seine magische Gefährlichkeit und kann langsam bearbeitet und überwunden werden. Daraufhin zielt jede Psychotherapie. Durch das Volksbegehren kam die Ausländerfeindlichkeit in Österreich in die gesellschaftliche Diskussion, in das öffentliche Bewußtsein. Ein gesellschaftlicher Klärungsprozeß ist in Gang gekommen, eine Chance, die latent gährende Ausländerfeindlichkeit zu bearbeiten, ist aufgetan.

Konflikte wird es immer geben, um so wichtiger ist das zur Verfügung stehende Instrumentarium zur Konfliktbewältigung. Je mehr die Menschen die Möglichkeit haben, ihre Sorgen und Ängste selbst und hörbar einzubringen, um so besser. Wenn keine Kommunikation möglich ist, zum Beispiel weil das Thema Ausländerfeindlichkeit zu einem Tabuthema gemacht wird, dann entstehen Gräben, und das Gewaltpotential nimmt zu. In der Initiierung von Kommunikations- und Lernprozessen, aber auch in der Ventilfunktion liegen die großen Vorteile der direkten Demokratie im Sinne von Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheid.

Eine letzte Lehre können wir ziehen: Das sogenannte „Volksbegehren“ führt in Österreich nur zu einer Parlamentsdebatte und zu keiner Volksabstimmung. Das „Volksbegehren“ ist eigentlich nur eine besondere Form einer Petition. Die FPÖ weiß genau, daß ihr Zwölf-Punkte-Programm im Parlament sowieso nicht umgesetzt werden wird, deshalb kann sie populistisch überziehen. Eine bekannte politische Mechanik. Anders wäre es, wenn das Volksbegehren zu einer Volksabstimmung führen würde. Dann müßte die FPÖ einen ausgearbeiteten Gesetzesvorschlag vorlegen und nicht nur Parolen. Das direktdemokratische Fragment Österreichs gibt den BürgerInnen nicht die Verantwortung. Hätten sie diese, dann wäre jede und jeder, der das Volksbegehren unterzeichnet, gezwungen, sich zu überlegen, ob er das wirklich will. Da nichts Verbindliches mit dem Volksbegehren erreicht werden kann, tut man sich leichter, es zu unterzeichnen. Die Lehre also ist: wenn direkte Demokratie, dann richtig und vollständig. [...] Thomas Mayer, Bonn