Die Maus beim Patentamt

Am 13. Februar läuft die Einspruchsfrist gegen das erste Patent auf ein Säugetier in Europa aus/ Über 70 Einwendungen sind eingereicht worden  ■ Von Annette Jensen

Berlin (taz) – Nur Erfindungen können patentiert werden. Eine Maus ist keine Erfindung. Folglich kann sie nicht patentiert werden. Dieser logische Schluß, den jeder durchschnittlich begabte Drittkläßler nachvollziehen kann, wurde nach einem langen Verfahren am 13.Mai letzten Jahres vom Europäischen Patentamt (EPA) in München außer Kraft gesetzt: Es erteilte der US-amerikanischen Firma Du Pont das Patent für eine genmanipulierte Maus, die wesentlich schneller als ihre Artgenossinnen Tumoren ausbildet. Die Tiere, die in den USA bereits für 40 bis 50 Dollar verkauft werden, sollen in der Krebsforschung Verwendung finden. Für sieben europäische Länder hat der amerikanische Konzern das Monopol erworben, das ebenfalls für andere Säugetiere zutrifft, die in gleicher Weise traktiert wurden.

Aber GegnerInnen des Patents zweifeln nicht nur daran, daß die Versuchsergebnisse der nach ihrem Herkunftsort benannten Harvardmaus überhaupt auf den Menschen übertragbar sind. „Wir sprechen von einer trojanischen Maus, weil sie den Weg ebnen soll für wirtschaftlich wesentlich interessantere Lebewesen,“ erklärt der Münchener Tierarzt Christoph Then, der die Kampagne „Kein Patent auf Leben“ koordiniert. Mehr als 70 Gruppen aus europäischen Ländern haben die neunmonatige Einspruchsfrist genutzt, die am 13.Februar abläuft. Vor allem auf zwei Vorschriften des Europäischen Patentrechts stützen sie ihren Protest: Das Patent darf nicht gegen die guten Sitten verstoßen, und Tierarten sind von der Patentierung ausgeschlossen.

Die guten Sitten sind bekanntlich ein sehr flexibel handhabbarer Begriff, weswegen das Patentamt auch ohne Bedenken Granaten mit besonders hoher Splitterwirkung patentieren konnte. „Ein Patent heißt ja lediglich, daß andere 20 Jahre lang die entsprechende Erfindung nicht verkaufen dürfen,“ so Sprecher Rainer Osterwalder. Ob das Produkt aber auf dem Markt zugelassen werde, sei allein eine Entscheidung der Politik. Auch das Leiden der auf jeden Fall erkrankenden Mäuse halten die Patentierer für kein sittliches Hindernis – es diene schließlich der medizinischen Forschung.

Um den Paragraphen zu umgehen, der Tierarten von der Patentierbarkeit ausnimmt, griffen die Gutachter zu einer Wortakrobatik, die selbst ausgefuchste Linguisten erstaunen dürfte. „Säuger und Nager stellen eine taxonomische Klassifikationseinheit dar, die höher anzusiedeln ist als der Begriff Tierart... Sie sind daher nicht vom Patentschutz ausgeschlossen.“

Die Harvardmaus ist das erste Säugetier, das in München patentiert wurde. Aber schon weitere Tiere stehen auf der Warteliste. Das Schaf Tracy beispielsweise produziert durch eine Genmanipulation ein Enzym, mit dem eine bestimmte Lungenkrankheit beim Menschen behandelt werden kann. Der Bayer-Konzern und die britische Gentech-Firma Pharmaceutical Proteins hoffen, mit dem derart gewonnenen Medikament ein Milliardengeschäft zu machen.

Schon einige tausend Patente auf dem Gebiet der Gentechnologie sind in München vergeben worden, obwohl GegnerInnen darauf hinweisen, daß es sich dabei ja keineswegs um Erfindungen, sondern um Versuche handelt. In den USA hat sogar ein Wissenschaftler die von ihm erforschten menschlichen Gensequenzen als sein geistiges Eigentum beim Patentamt anmelden wollen.

Worauf die Patentierung von Lebewesen hinausläuft, hat der Gen-ethische Informationsdienst immer wieder deutlich gemacht: Weil die Patente nicht nur für die erste Generation, sondern auch für alle Nachkommen gelten, kann der Inhaber auch für alle Nachkommen abkassieren. Und das Patent gilt auch für neue Produkte, die mit Hilfe des patentierten Lebewesens hergestellt werden – auch wenn sie zum Zeitpunkt der Patentierung noch gar nicht erfunden bzw. entdeckt waren.

Eine noch stärkere Abhängigkeit der Dritten Welt von einigen Konzernen in den Industrienationen ist vorprogrammiert: Denn Saatgutkonzerne beispielsweise könnten nach einer einmaligen Lieferung immer wieder von den Bauern abkassieren. Wohin die Entwicklung geht, läßt sich bereits an einem im letzten Jahr erteilten Patent für Pflanzen ablesen, die gegen das von Hoechst hergestellte Herbizid Basta resistent sind. Sobald ein Bauer ein Mal sein Feld mit den Pflanzen aus dem Genlabor der belgischen Firma Plant Genetic Systems (PGS) bestellt hat und das Pestizid Basta darübergekippt hat, ist er in den Fängen der Monopolisten: Denn Basta tötet jede Pflanze ab, die nicht künstlich resistent gemacht worden ist. Der Bauer hat also keine andere Chance, als erneut die Pflanzen der PGS anzubauen. Und egal, ob er Saat aus dem letzten Jahr zurückbehalten hat oder neu ordert: Er zahlt auf jeden Fall.

Experten schätzen, daß die Agrarindustrie künftig 50 bis 100 Milliarden Dollar durch genetisch manipulierte Sorten verdienen kann; heute werden auf dem internationalen Saatmarkt „nur“ 20 Milliarden Dollar verdient. Um den lukrativen Markt international abzusichern, betreibt die Biotechnik-Industrie fleißig Lobbyarbeit bei den Gatt-Verhandlungen, damit die Möglichkeit, leben zu patentieren, auch international anerkannt wird.