Sanssouci
: Nachschlag

■ "Lenz" von Georg Büchner im Theater 89

Die „Lenz“-Konzeption im Theater 89 ist denkbar einfach und wirkungsvoll: Es ist ein Kammertheaterabend mit einem Schauspieler und einem Musiker. Hans-Joachim Frank, Mitbegründer des Theaters 89, rezitiert mit sehr verhaltenen theatralischen Mitteln Büchners Text. Er ist das feste Element des Abends, der Musiker wechselt von Aufführung zu Aufführung. Eine ungewöhnliche Liaison ist das Theater 89 für den „Lenz“ in der vergangenen Woche eingegangen: Neben Frank zeigte diesmal der österreichische Musiker und Komponist Wolfgang Mitterer, was ihm alles zu Büchners Textfragment in Sachen Geräusch einfällt.

Mitterer ist in der österreichischen Jazz-Szene als gewagter Improvisator bekannt. Nach einem Musikstudium in den Fachbereichen Orgel und Komposition komponierte und musizierte er für verschiedene Wiener Theaterhäuser, produzierte ein Hörspiel und arbeitete an einer experimentellen Zeichentrickfilm- Trilogie mit. Seit einiger Zeit ist er auch solo mit seinem Programm „Reluctant Games“ für Live Electronics, präpariertes Klavier und 3 Tom Toms unterwegs.

Büchners nie vollendete Erzählung um den dem Wahnsinn verfallenden Sturm-und-Drang-Dichter Michael Reinhold Lenz stellt neue Anforderungen an ihn und seine Gerätschaften. Auf der Bühne sieht man zunächst nur einen Flügel, der alles andere als flügelgemäße Töne von sich gibt. Während Hans-Joachim Frank rezitiert und, von Lenz-eigener Unruhe gepackt, nervös durch die Gebirge streift, um nach seiner eigenen Mitte zu suchen, bearbeitet Mitterer seinen Flügel und andere „Instrumente“. Mit einem Blasrohr pustet er Luft in die Klaviersaiten, wirft Tischtennisbälle in den geöffneten Klangkörper oder malträtiert ihn mit Schlagstöcken. Er zerknüllt vor einem Mikrophon Papier und Plastikbecher oder setzt die eigene Stimme disharmonisch ein. Mitterers Effekte sind schräg, dissonant, vertraut-unvertraut zugleich, aber sensibel genug, um die Textarbeit von Hans-Joachim Frank nicht zu beengen. Die ausführlichen Landschaftsbeschreibungen Büchners bleiben in ihrer Dichte bestehen, werden durch die Musik noch ein wenig dunkler, archaischer und geheimnisvoller. Und die zerstörerischen Gedanken von Lenz, in denen Büchner die Psychoanalyse knapp 100 Jahre vor ihrer Entstehung vorwegdachte, werden durch die spartanisch eingesetzten Töne noch intensiviert.

Mitterers Gastspiel am Theater 89 ist ersteinmal vorbei, die Wiederholung sicherlich schon angelegt. Bei den nächsten „Lenz“-Aufführungen wird ein anderer Musiker mit Hans-Joachim Frank arbeiten. Der Charakter des Abends erhält dann eine neue und hoffentlich genauso spannende Note. Anja Poschen

Heute und morgen um 20.30 Uhr mit Volker Schlott am Sax.