Funktionierendes Provisorium

■ Das Kino Babylon in Berlin-Mitte einst und heute: Aus der ehemals kulturellen Nische im sozialistischen Mainstream soll ein benutzbares Filmkunsthaus werden

Ein „schickes“ Haus ist das Babylon schon lange nicht mehr. Der Putz erlag nach und nach der Gravitationskraft, Logen und Rang sind seit 1973 gesperrt, und die Bestuhlung erhärtet die These vom Primat des Geistes über den Körper. Unzählige Verbotsschilder vergilben an Türen und Wänden. Allem Verfall zum Hohn thront das alte Kino am Rosa-Luxemburg-Platz als Säule der Kiezkultur zwischen Mitte und Prenzlauer Berg. In den 80ern fror hier die inzwischen demontierte Ost-Szene kollektiv bei Tarkowski und Zanussi, huldigte „anderen Bands“ wie Feeling B oder den inzwischen vergessenen Cashmir, und im Dezember 1988 hatten sich sämtliche Lederjacken und Dandyschnitte der DDR im ewig kalten Gemäuer zur legendären Nacht der „anderen“ Lyrik verabredet. Lange war das Babylon synonym mit den Worten „besonders“ und „anders“, eine der kulturellen Nischen im sozialistischen Mainstream.

Heute versuchen fünf Leute um Programmkoordinatorin Cornelia Klauß, das bauliche „Provisorium, das irgendwie noch funktioniert“, mit Blick auf die längst fällige Rekonstruktion „im Übergang“ zu halten und dabei mehr als gutes Kino zu bieten. Irgendwie gelingt ihnen das Löcherstopfen, obwohl die Morbidität des Babylon mittlerweile einen Grad erreicht hat, der nur noch schwer als pittoresk anzusehen ist. Im April 1929 mit „Fräulein Else“ als Stummfilmkino für 1.200 Plätze eröffnet, wurde der von Hans Poelzig im neusachlichen Stil entworfene Bau noch im selben Jahr für den Tonfilm umgerüstet. Hier liefen Revuen neben Agitproptheater und – als Brücke zum benachbarten Scheunenviertel – jüdische Kleinkunst. Das Haus war nie simple Abspielstätte und zu DDR-Zeiten kein reiner „Inti“-Schauplatz, auch wenn der Ruf als östliches „Szene“-Kino sich festgeschrieben hat. Cornelia Klauß mag diesen Begriff ohnehin nicht.

„Volksnah“ sei konkreter, meint sie. Tatsächlich wurde das Babylon schon immer von einem festen Stamm Rentner und Kinder frequentiert, die sich nun für 2DM pro Nase mit „Donald Duck“ oder dem „Shanghai-Express“ amüsieren können. Der Rest der in etwa 65 Prozent Ost- und 35 Prozent Westbesucher, darunter viele Studenten, zahlt um die 7DM Eintritt (es gibt Ermäßigung) für Kino, Videoabende oder Podiumsdiskussionen. Seit zwei Jahren gibt es jeden Montag DEFA-Filme, die allerdings von so vielen Leuten auch wieder nicht gesehen werden. Das Babylon bemüht sich, unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht zu werden, wie es immer so schön hieß. Die Mitarbeiter organisierten Stummfilmabende mit Klavierbegleitung, Theateraufführungen (Theater Syndikat) und die Reihe „Jazz im Film“. Letztere fiel der unzureichenden Schallisolierung zum Opfer – das Kino grenzt an ein Wohnhaus.

Konzerte soll es, soweit sie den Film als Medium integrieren, nach der Sanierung wieder geben. Im Interim planen die Babylonier zumindest ein Cineasten-Programm, das knapp hinter dem des „Arsenal“ rangiert. 1993 verzeichnet ab März ein von Timothy Grossman konzipiertes Themenprogramm „Zeitbrüche“, das – beginnend mit der Sowjetunion – über sechs Monate Filme um und zu historischen Daten ausgräbt. Des weiteren das Asynchronfestival im Mai, eine Antonioni-Retrospektive und eine Serie finnischer Filme. Die Videoreihe „Screentest“ wiederum begibt sich „auf die archäologische Suche nach den Grundelementen des Films“, so Klauß. Daß ausgerechnet im Keller des Babylon kürzlich ein Videostudio eingerichtet wurde, klingt da wie ein hübscher Gag.

Bei der Filmauswahl mischt man Populäres mit Kultfilmen und Unbekanntem; Dusan Hanaks „Bilder einer alten Welt“ zum Beispiel mit dem Evergreen „Casablanca“. Der zieht die Leute immer noch in die 18-Uhr-Vorstellung, während sie sich auf unbekannte, gerade osteuropäische Filme nicht mehr so bereitwillig einlassen wie zu DDR-Zeiten. Das Angebot ist ihnen zu unübersichtlich geworden, und ein „guter“ Film ist absurderweise oft nur der, über den gut informiert wurde. Lädt man aber, was hier oft der Fall ist, Regisseure ein wie Helke Misselwitz zu „Herzsprung“, Thomas Heise zu „Stau“, füllt sich der Saal noch wie von selbst. Zur Aufführung von Thomas Frickels „Störenfried“, der Geschichte des Pfarrers Brüsewitz, der sich selbst verbrannte, standen plötzlich 300 Leute vor der Kasse.

Das denkmalgeschützte Haus, das nicht nur für Leute mit Abitur und Diplom in der Tasche dasein möchte, gehört der Wohnungsbaugesellschaft Mitte und wird vom Verein „Berliner Filmkunsthaus Babylon“ als kommunales Kino betrieben. 283.000 DM kommen vom Senat für kulturelle Angelegenheiten unter der Auflage, baulich zu investieren. Der Rest soll erwirtschaftet werden. Im letzten Jahr hat es für neue Toiletten, eine Heizung und die Renovierung der Bühnenräume gereicht. Allenfalls Kosmetik, wie auch die in mühevoller Arbeit von unzähligen Lagen Plakate freigemachte Foyerwand, angesichts der mit 7,5 Millionen DM veranschlagten Generalsanierung. Wann die, möglichst bei laufender Bespielung, beginnen kann, steht immer noch nicht fest. Professor Hämer und Klaus Meyer-Rogge brüten über den Plänen. Nach der Wende wurde ein Fonds von 2,5 Millionen DM an PDS- Geldern für die bis jetzt ausstehende Instandsetzung des Kinos verfügt, aber nicht eingesetzt.

Die jetzigen Betreiber wünschen sich das Babylon als benutzbares Filmkunsthaus und nicht als Filme zeigendes Museum. „Es soll ja um Gottes Willen kein schickes Haus werden“, so Cornelia Klauß, die, wenn ein Abend ohne Pannen lief, drei Gläser Wein hintereinander trinkt. Aber ein „betretbares, für unterschiedlichste Gruppen, in ständiger Bewegung“. Und damit hat sie wohl nicht den Putz gemeint. Anke Westphal