■ Schnittplatz
: Rohe Russen

„Rußland: im fünften Monat abgetrieben, zerlegt und verschachert“, schreit es vom Kiosk. Unter dem Titel „Die mißbrauchten Föten“ wartet der Stern in seiner aktuellen Ausgabe (6/93) mit einer Gruselgeschichte auf: Michael Molnar, ein US-Schönheitschirurg, hat in Moskau ein Institut eröffnet, das – in Zusammenarbeit mit einer Abtreibungsklinik – Föten zu wissenschaftlichen und medizinischen Zwecken verarbeitet. Die Leibesfrucht aus dem zweiten Schwangerschaftsdrittel wird sofort nach der Abtreibung zerlegt, die „brauchbaren“ Teile tiefgefroren. Für deren Verkauf erhoffen sich die Betreiber devisenkräftige Abnehmer aus dem Westen, die glauben, mit dem Fötalgewebe ließen sich Krankheiten kurieren.

Die Bilder, mit denen diese Enthüllungsgeschichte illustriert ist, zeigen, daß der Stern der Faszination des Grauens erlegen ist. Auf dem in grünes Licht getauchten Aufmacherfoto wird eine Frau auf dem Gynäkologenstuhl zur Schau gestellt, mit nacktem Unterleib auf blutigem Laken. Das nächste Foto: Die Hebamme durchschneidet die Nabelschnur eines schon weit entwickelten Fötus, der dann vom Klinikpersonal im weißen Kittel „verarbeitet“ wird.

Auf der Strecke bleibt in dieser Geschichte nicht nur der Respekt vor der Intimität und Integrität der beteiligten Frauen. In einem sensationalistischen Schreibstil werden die Frauen denunziert, die abtreiben – „ihr Mann verdient nicht schlecht“. Nur ein Halbsatz darüber, daß aus Mangel an Sexualaufklärung, Verhütungsmitteln und Kooperation der Männer in den Beziehungen eine Abtreibung für russische Frauen oft die einzig mögliche Form der Geburtenkontrolle bleibt. Und während sich die AutorInnen über die Ärzte in Moskau empören, erscheinen in einer merkwürdigen Gegenüberstellung westliche Ärzte im Glorienschein: Denn im Westen wird „gewonnenes“ Fötalgewebe nur „unter Kontrolle von Ethikkommissionen“ verpflanzt [etwa den gleichen, die Leichen als Gebärmaschinen freigeben? d. sin], wobei „deren Mütter (!?) diesem Verfahren ausdrücklich zugestimmt“ hätten. Deshalb sind hier, im goldenen Westen, „streng kontrollierte Versuche“ auch vielversprechende „Fortschritte in der Therapie“ von Kranken.

Diese Spaltungsstrategie – Dämonisierung der Frauen und der „rohen Russen“, Weißwäscherei der westlichen Ärzte und PatientInnen – erlaubt es den LeserInnen, sich nach der Lektüre wieder entspannt zurücklehnen: „Unsere“ heile Welt bleibt in Ordnung, „unsere“ Ärzte waschen ihre Hände in Unschuld, ihre weiße Weste bleibt unbefleckt.

Nach Stern-Lesart handelt es sich demnach in Moskau um einen Mißbrauch von Föten, während im Westen die Föten in richtiger Weise gebraucht werden. Für Frauen macht es aber keinen Unterschied, ob ihre Leibesfrucht nun mit oder ohne Kontrollstempel einer Ethikkommission von der Wissenschaft gebraucht wird. Zum Bergwerk, in dem Ärzte wie in einer Mine schürfen dürfen, wird ihr Körper dabei allemal. Und deshalb ist die Kommerzialisierung der so gewonnenen „Produkte“ des Frauenkörpers – von der sich die westlichen Forscher so beredt distanzieren – auch nichts als die Kehrseite der Medaille von einer Forschung, die Frauen zu lebenden Gewebebanken erklärt. Die zahlungskräftigen Kunden – nämlich ForscherInnen, die mit ihren Experimenten an PatientInnen verdienen und sich Ruhm erwerben wollen – sitzen mehrheitlich im Westen, meist auf gutdotierten Lehrstühlen, und sind überwiegend männlich.

Und damit die sich nicht im Osten die Finger schmutzig machen müssen, hat US-Präsident Clinton vor zwei Wochen wieder staatliche Gelder für die Forschung mit Föten aus Abtreibungen freigegeben. Streng ethisch, versteht sich. Barbara Sastra