■ Zur Debatte über eine Intervention in Bosnien: Weder Bellizismus noch Fatalismus
Während in Bosnien die „ethnische Säuberungsaktion“ der serbischen Freikorps mit aller Grausamkeit weitergeht, während in Sarajevo gehungert wird und die von Moslems bewohnten Gebiete verwüstet werden, vergrößert der Krieg in Exjugoslawien die neue Unübersichtlichkeit in der Bundesrepublik. Leibhaftige Generäle warnen Seite an Seite mit den Lords der Friedensbewegung vor einer militärischen Intervention in Bosnien; Kohl und Rühe schließen zumindest Kampfeinsätze deutscher Soldaten aus; bei Klose und Engholm weiß man wie immer nicht, was sie morgen sagen werden, und aus dem grünen Spektrum mehren sich die Rufe, dem Wüten der Soldateska ein militärisches Ende zu bereiten.
Die „Interventionisten“ können die Zuschauerrolle des Westens nicht mehr aushalten, müssen sich aber von Profis vorhalten lassen, daß sie damit eine unabsehbare Eskalation des Krieges heraufbeschwören. Die anderen antworten auf die Frage „Was tun?“ mit gewaltfreien Prinzipien und nehmen in Kauf, daß angesichts des Genozids in Bosnien Pazifismus und Fatalismus eine unheilige Allianz bilden. Also kein Raum für einen „dritten Weg“ zwischen einer Neuauflage des Golfkriegs auf dem Balkan und dem faktischen Gewährenlassen der Vertreibungen und Greuel? Vielleicht doch.
1.Alle „Friedensverhandlungen“ um Bosnien sind ein Hohn, wenn nicht zuallererst die humanitären Minimalerfordernisse durchgesetzt werden: die Versorgung der eingeschlossenen Städte mit Lebensmitteln und Medikamenten; die Auflösung der Internierungslager und die Einrichtung von entmilitarisierten Schutzzonen für die Zivilbevölkerung. Das muß mit der Autorität der UNO geschehen und von Streitkräften unter ihrem Kommando abgesichert werden. Parallel können Verhandlungen mit dem Ziel einer politischen Lösung weitergeführt werden.
Die bisherige Politik der UNO gegenüber dem Krieg in Kroatien und Bosnien ist gescheitert. Seit Monaten versuchen einige tausend Blauhelme mit begrenztem Erfolg, eine rudimentäre Versorgung der Zivilbevölkerung aufrechtzuerhalten. Letztlich bleibt diese Aktion ohnmächtig, solange sie vom Wohlwollen der Kriegsherren im Lande abhängig ist. Was fehlt, ist die Bereitschaft, sie notfalls auch gegen die bewaffneten Banden durchzusetzen.
Obwohl diese Strategie auf eine Eindämmung der Kriegshandlungen zielt, birgt sie ein Eskalationsrisiko. Wenn die Blauhelm-Aktionen angegriffen werden, müssen sie verteidigt werden. Dazu braucht es eine entsprechende militärische Präsenz von UN-Truppen im Kampfgebiet und an den Grenzen Exjugoslawiens. Je entschlossener die internationale Intervention angekündigt und durchgeführt wird, desto geringer wird das Risiko, daß sich daraus ein neuer Krieg entwickelt. 7.000 UN- Soldaten sind angreifbar, 70.000 sind ein Machtwort.
2.Auch die Forderung nach einem konsequenten Handelsembargo gegen Serbien bewegt sich auf einem schmalen Grat zu militärischem Eingreifen. Wie soll die Importsperre für strategische Güter durchgesetzt werden, wenn dahinter nicht die Bereitschaft steht, Schiffs- oder Landtransporte zu stoppen? Und wieviel Zeit gibt es noch, die serbische Kriegsmaschine ökonomisch lahmzulegen, bevor sie ihren völkischen Kreuzzug vollendet hat? Erst recht führen friedenserhaltende Blauhelm- Missionen in eine Grauzone zwischen ziviler und militärischer Intervention, jedenfalls dann, wenn sie nicht zum Spielball bewaffneter Gruppen werden sollen.
3.Bei der Geißelung „grüner Kriegstreiber“ geht es nur am Rande um die Frage „Was tun?“ angesichts der Barbarei vor unserer Haustür. Vor allem, mit Verlaub, geht es um die eigene politische Identität. In all den empörten Kommentaren und LeserInnenbriefen fanden wir keine plausible Antwort auf die Frage, wie die menschliche und politische Tragödie in Bosnien aufzuhalten ist. Statt dessen wird die „Schuldfrage“ geklärt (der halbherzige Handelsboykott oder die Bundesregierung wegen der voreiligen Anerkennung Sloweniens und Kroatiens, die Serbien zur militärischen Expansion provoziert habe etc. pp.) und werden die Prinzipien der Gewaltfreiheit beschworen. Gegenfrage: Galten die pazifistischen Grundsätze tatsächlich immer und überall – für den „Befreiungskampf des vietnamesischen Volkes“ wie für den Guerillakampf der Swapo und des ANC, für die sandinistische Revolution, „Waffen für El Salvador“ und die Aufrüstung der Sowjetunion? Pazifismus bleibt eine richtige Orientierung. Aber wir glauben nicht an seine Allgemeingültigkeit jenseits von Zeit und Raum. Man muß nicht Auschwitz bemühen, um diese Skepsis zu begründen. Haben wir nicht die westlichen Demokratien kritisiert, weil sie die spanische Republik 1936 bis 38 bei ihrer Selbstverteidigung gegen Franco im Stich gelassen und damit Hitler ermutigt haben? Historische Beispiele können nicht einfach auf aktuelle Ereignisse übertragen werden. Aber als Herausforderung, über konkrete Antworten auf konkrete Situationen nachzudenken, statt sich in Glaubenssätze zu flüchten, sollten sie gut sein.
4.Welche politischen Folgen wird die Gleichgültigkeit Europas gegenüber den ethnischen Säuberungen, den Internierungslagern, der nationalistischen Gewaltorgie im ehemaligen Jugoslawien haben, und insbesondere gegenüber dem Schicksal Bosniens, das ein Modell für das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religion war? Hier werden Maßstäbe gesetzt, die weiterwirken werden, im Osten und im Westen. Sarajevo wird noch einmal zum Wendepunkt in der europäischen Geschichte. Diesmal wird die KSZE mit allen Hoffnungen zu Grabe getragen, die sich an die Überwindung der Blöcke und eine gesamteuropäische Menschenrechtspolitik knüpften.
Ein böser Verdacht: Bosnien wird von „links“ wie von „rechts“ im Stich gelassen. Für die Nato gibt es kein besonderes Motiv, sich zu engagieren – Bosnien ist nicht Kuwait. Der Owen/Vance-Plan, der faktisch die bisherigen Ergebnisse der ethnischen Säuberungspolitik akzeptiert, zeigt deutlich, welchen Stellenwert Bosnien für die Konservativen hat. Und für die traditionelle Linke gibt es ebensowenig Grund, sich für „bosnische Nationalisten“ stark zu machen. Nebenbei verspielt der Westen einmal mehr die Glaubwürdigkeit seiner Menschenrechtspolitik gegenüber der islamischen Welt, wenn ihm das Schicksal der Muslime in Bosnien nur papierne Resolutionen wert ist. Bosnien könnte Brücke zwischen Europa und dem Islam sein. Sie wird gerade in Stücke gehauen. Kaum jemand nimmt das zur Kenntnis.
5.Die „Ohne mich“-Bewegung hatte ihre Verdienste gegen die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik und den Griff nach der Atombombe. Wenn diese Haltung heute zur verbindlichen Leitlinie in der Diskussion um Weltinnenpolitik, UN-Streitkräfte und Blauhelme werden soll, gleitet sie ab in den Versuch, sich in einer komfortablen Idylle einzurichten, während „fern in der Türkei die Völker aufeinanderschlagen“. Der Verweis auf die besondere historische Verantwortung Deutschlands taugt gerade nicht, sich Aktionen zur Verteidigung der Menschenrechte im Rahmen der UNO zu entziehen.
6.Pazifismus garantiert keine Unschuld. Ralf Fücks/Friedrich Wilhelm
Graefe zu Baringdorf
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