■ Der Darmstädter Giftgasprozeß droht zur Farce zu werden
: Und die „Todeskrämer“ schmunzeln

Mit Ach und Krach ist gestern der Prozeß wegen illegaler Lieferungen von Giftgasanlagen an den Irak in die nächste Runde gegangen. Fast hätte der Vorsitzende Richter Pani sich in einem selbstgeschaffenen Prozeßhindernis verfangen, nachdem einer der beiden Hauptgutachter schwer erkrankte und deshalb an der Verhandlung nicht mehr teilnehmen kann. Um nur ja keinen Grund für eine Revision zu liefern, sollten beide Gutachter bei allen Verhandlungstagen anwesend sein. Jetzt wird es eben doch mit einem Hauptgutachter weitergehen. Und der ist, welch Zufall, auf einen Vorschlag der Verteidigung hin vom Gericht ernannt worden.

Es ist, vor allem im Zusammenhang mit dem Prozeß gegen Erich Honecker, viel von der Aufarbeitung der Geschichte im Gerichtssaal gesprochen worden. Ginge es mit rechten Dingen zu, müßte der Prozeß in Darmstadt zu einem herausragenden Kapitel bundesdeutscher Vergangenheitsbewältigung geworden sein. Schließlich geht es um das Ethos einer Wirtschaftsmacht, die überwiegend von Exporten lebt. Im Herbst 1990, in den Monaten vor Beginn der alliierten Angriffe auf den Irak, stand die Exportnation Deutschland international am Pranger. Von „Auschwitz in the sands“, wie die amerikanische Presse die aus Deutschland gelieferte Chemiewaffenanlage im libyschen Rabta nannte, bis hin zu jenen „Krämern des Todes“, die Saddam Hussein die Giftgasproduktion in Samarra ermöglicht hatten, wimmelte es in den Reihen deutscher Unternehmer plötzlich von „schwarzen Schafen“. Jetzt, zwei Jahre nach dem Golfkrieg, in dem es glücklicherweise nicht zu einem Giftgasangriff auf Israel kam, müßte vor Gericht geklärt werden, ob die Lieferungen an den Irak lediglich auf die kriminelle Energie einzelner Manager zurückgehen oder in einer auf Export orientierten Wirtschaft wie der bundesdeutschen eher systemimmanent sind.

Alles spricht dafür, daß bei den fraglichen Geschäften beides zusammenkam. Noch sind die Manager von Kolb und W.E.T. nicht verurteilt – und das hat mehr politische als kriminalistische Gründe.

Erstmals öffentlich wurden die Lieferungen der hessischen Firma Kolb an den Irak 1984 durch die New York Times. Später stellte sich heraus, daß die Bundesregierung spätestens seit diesem Zeitpunkt Geheiminformationen über den militärischen Charakter dieser Exporte hatte. Trotzdem brauchte die Staatsanwaltschaft acht Jahre, bis 1992, um Anklage erheben zu können. Bis 1987 war die Bundesregierung nicht in der Lage, die Ausfuhrbestimmungen so zu verschärfen, daß die Kolb-Lieferungen zweifelsfrei als Verstöße gegen die Außenwirtschaftsbestimmungen geahndet werden konnten. Jahrelang fand die Staatsanwaltschaft dann in Deutschland keinen Experten, der bereit war, die Staatsanwaltschaft bei der Frage, ob die gelieferten Anlagen für die Produktion von Giftgas geeignet sind oder nicht, gutachterlich zu beraten. Der schließlich gefundene Schweizer Professor Werner Richarz, auf dessen Gutachten sich die Anklage dann stützte, ist ausgerechnet der nun erkrankte Hauptsachverständige.

Auch im endlich begonnenen Prozeß war die Bundesregierung alles andere als kooperativ. Erst verweigerte sie dem Gericht die schriftlichen Ergebnisse von UN-Inspektionen in den Giftgasanlagen des Iraks, dann verbot sie den deutschen UN-Inspektoren, als Zeugen im Prozeß auszusagen. Beides wurde erst möglich, nachdem der Vorsitzende Pani gedroht hatte, das Verfahren einzustellen.

Anders als im Honecker-Prozeß hätte das Darmstädter Giftgasverfahren einen präventiven Charakter haben können. Von der dort veranstalteten Posse wird sich jedoch kaum ein „Todeskrämer“ abschrecken lassen. Jürgen Gottschlich