Verjährung im französischen Blutskandal

■ Hohes Gericht lehnt einen Prozeß gegen Ex-Premier und PS-Chef Fabius ab

Paris (taz) – „Äußerster Zynismus“, so kommentiert der Sprecher der französischen Bluter-Vereinigung, Edmond-Luc Henry, das jüngste Kapitel im Skandal um die verseuchten Blutkonserven. Während immer mehr HIV-infizierte Opfer der Bluttransfusion in Frankreich sterben, ist es erneut völlig fraglich, ob es zu einem Prozeß gegen die zur Zeit der Ansteckung amtierenden Minister kommt. Die Untersuchungskommission des Hohen Gerichts mußte die Anklageschrift am Freitag ausgerechnet wegen „Verjährung“ ablehnen. Sozialisten-Chef Laurent Fabius, der 1985 – während der Versäumnisse bei der Bluttransfusion – Premierminister war, sowie die damalige Sozialministerin Georgina Dufoix und Ex-Gesundheitsminister Edmond Hervé sollten sich wegen „unterlassener Hilfeleistung“ verantworten. Dieses Delikt erlischt drei Jahre nach der Tat.

Die Entscheidung der Untersuchungsrichter bestätigt bei den Opfern und darüber hinaus bei vielen Franzosen die Überzeugung, daß Politiker ungestraft tun und lassen können, was sie wollen. Tatsächlich sind die französischen Minister fast unangreifbar: Die Verfassung verbietet, daß sie für ihre Amtstaten vor ein normales Gericht gestellt werden. Statt dessen muß das Parlament eine Sonderjustiz einberufen. Diese Prozedur hat auch diesmal zum Scheitern geführt: Die Sozialisten selbst hatten im Dezember verhindert, daß die Anklage – wie von der Opposition gewünscht – auf den als zu ehrenrührig empfundenen Vorwurf der „fahrlässigen Tötung“ lautete. Das Risiko der Verjährung nahmen sie damit bewußt in Kauf. Die Richter weisen nun einen letzten Weg, der ein erneutes Ankurbeln der umständlichen Prozedur ermöglicht: Falls das Parlament doch noch eine Anklage wegen „fahrlässiger Tötung“ beschließt, könnte es zum Verfahren kommen. Weil einige Bluter, die 1985 über verseuchte Konserven angesteckt wurden, die Aids-Krankheit vor weniger als drei Jahren entwickelten, droht in diesem Fall keine Verjährung.

Fabius erklärte am Sonntag, er wünsche diese neue Anklage, damit das Verfahren endlich in Gang komme und „keine Dunkelzone“ bleibe. Von einer edlen Haltung kann jedoch keine Rede sein: Der Parteichef hat bereits so viele Kehrtwendungen vollzogen, daß nur noch ein Prozeß ihn von dem Makel freisprechen kann, er wolle sich feige aus der Verantwortung stehlen. Paradox ist, daß eigentlich niemand glaubt, Fabius trage Schuld für die Ansteckung. Doch die Öffentlichkeit verlangt, daß endlich alle Akteure Rede und Antwort stehen. Sie muß sich weiter gedulden: Präsident François Mitterrand erklärte gestern, er werde das Parlament vor den März-Wahlen nicht mehr zusammenrufen; die neue Anklage kann also frühestens im April beschlossen werden. Der Beschluß der Untersuchungsrichter hat den Sozialisten weiter geschadet.

Die Bluter glauben Fabius kein Wort mehr. „Er und seine Freunde haben diese Maskerade selber eingefädelt“, schrieb der Sprecher der Bluter-Vereinigung. Fabius spekuliere auf die Zeit: „Bis heute sind 30 Bluter gestorben. Noch eine Weile, und es bleibt keiner mehr übrig. Ist das nicht die Absicht?“ Bettina Kaps