Vier US-Luftwaffen – wie lange noch?

Regierung in Washington will Militärhaushalt reduzieren/ Doppelungen sollen künftig vermieden werden/ Wenn aus einer Luftwaffe ein „Luftfahrtelement“ wird  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Die Entwicklung literarischer Fähigkeiten mag im Militär nicht zu den vorrangigen Übungen gehören. Doch das schließt nicht aus, daß es hochbegabte Autoren in Uniform gibt – zum Beispiel Charles Dunlap, Oberstleutnant der US-Luftwaffe und Verfasser eines Essays mit dem Titel „Über die Ursprünge des amerikanischen Militärputsches im Jahre 2012“. Damit kam Dunlap letztes Jahr zu höchsten Ehren: Er gewann den „National Defense University's Chairman of the Joint Chiefs of Staff Strategy Essay Competition“, einen Wettbewerb, der vom Vorsitzenden der Generalstabschefs ausgeschrieben wird. General Colin Powell überreichte die Siegerurkunde.

Aus der Sicht eines zum Tode verurteilten Offiziers, der sich den Putschisten entgegengestellt hat, beschreibt Dunlap, wie es zu einem Militärcoup kommen konnte: Im Zuge von Sparmaßnahmen werden die getrennten Strukturen von Marine, Luftwaffe, Heer und Marines aufgelöst und zu einer Armee zusammengefaßt. Gleichzeitig übernimmt das Militär – konfrontiert mit dem Verfall der gesellschaftlichen Infrastruktur und ziviler, staatlicher Autorität – um die Jahrtausendwende immer mehr zivile Aufgaben: Bekämpfung von Drogenkriminalität und Ghettoaufständen, weil die Polizei versagt; Rettungseinsätze bei Natur- und Umweltkatastrophen, die zivile Behörden nicht mehr gewährleisten können; medizinische Versorgung der Bevölkerung, weil das Gesundheitssystem zusammenbricht; Übernahme der kommerziellen Luftfahrt, nachdem immer mehr private Fluglinien bankrott gegangen sind. Aufgrund der schleichenden „Zivilisierung“ der Armee vernachlässigt diese zunehmend ihren Verteidigungsauftrag: Als 2010 iranische Truppen mehrere Golfstaaten besetzen und die USA intervenieren, erleiden sie eine verheerende Niederlage, die schließlich den Putsch gegen die Zivilregierung auslöst.

Nun entbehrt es nicht einer gewissen Pikanterie, wenn ein solcher Aufsatz in den akademischen Kreisen des Militärs hochgeschätzt und der Autor für sein unkonventionelles Denken gelobt wird. Man mag, so kommentiert der Pentagon-Experte Thomas Ricks in der Zeitschrift Atlantic Monthly, das Putsch-Szenario für äußerst unwahrscheinlich halten, doch Dunlap hätte keinen Preis bekommen, wäre sein Essay als purer Science- fiction angesehen worden. Er verarbeitet literarisch die reale Angst innerhalb des Militärs, im Zuge einer gesellschaftlichen und politischen Neubestimmung sowie Mittelkürzungen und Truppenabbau die Kampf- und Einsatzbereitschaft zu verlieren.

Manche nennen das auch Identitätskrise. Im Irak geriert man sich als Kriegssieger und Weltpolizist, in Somalia übt man sich im „humanitären Interventionismus“, im Fall Bosnien will sich das Pentagon im Gegensatz zu vielen Politikern am liebsten ganz heraushalten. Zu Hause retten US-Soldaten die Landsleute vor den Folgen eines Hurrikans wie in Florida – oder stehen ihnen, Gewehr im Anschlag, gegenüber wie bei der Revolte in Los Angeles. Im eigenen Land ist die Reputation der Armee der „Besten und Gescheitesten“, wie sie General Colin Powell unlängst nannte, durch sexuelle Gewalt gegen Frauen und Homosexuelle angeschlagen. Der Streit um den Bann gegen Homosexuelle in der Armee ist da nur ein Vorgeschmack auf weitere Konflikte zwischen den Generalstabschefs und der Clinton-Administration.

Der nächste Streit schwelt bereits. Mehrere Milliarden Dollar will Präsident Clinton beim Militärhaushalt allein dadurch einsparen, daß „überflüssige Kapazitäten“ und Doppelungen gestrichen werden sollen. Bereits im Juni letzten Jahres hatte der Vorsitzende des Streitkräfteausschusses im Senat, Sam Nunn, einige heilige Kühe des Pentagon ausgemacht – und ihre Unantastbarkeit in Frage gestellt. „Wir sind das einzige Militär der Welt mit vier Luftwaffen“, monierte Nunn. Gemeint sind die Air Force, die Helikopterstaffeln des Heers sowie die Kampfflugzeuge und Hubschrauber der Navy und der Marines, die von Flugzeugträgern aus operieren. Solche Doppelungen in Zukunft durch das sogenannte streamlining zu vermeiden könnte nach Schätzungen von Haushaltsexperten pro Jahr 60 Milliarden Dollar an Einsparungen einbringen. Mit 60 Milliarden Dollar ließen sich für ein ganzes Jahr sämtliche Gesundheits-, Wohnungsbau- und Erziehungsprogramme für all jene AmerikanerInnen finanzieren, die zu den unteren Einkommensgruppen zählen oder unterhalb der Armutsgrenze leben.

Das rührt die Generäle wenig, die nun ihre Pfründe verteidigen, wobei einer den Rücken des anderen kratzt. In den USA gebe es nur eine Luftwaffe, widerspricht Air- Force-General Buster Glossen den Senatoren im Streitkräfteausschuß. Bei den anderen Waffengattungen handele es sich lediglich um „Luftfahrtelemente“. Die Navy hätte gerne ein weiteres dieser „Luftfahrtelemente“: ein neues Programm für einen Mittelstreckembomber zum Preis von 80 Milliarden Dollar. Noch im Dezember schien es, als sei der oberste Militär, der Vorsitzende der „Joint Chiefs of Staff“, General Colin Powell, zu Kompromissen bei der Umstrukturierung der Streitkräfte bereit. Doch Ende Januar präsentierte er einen überarbeiteten Report, den sowohl Clinton als auch Nunn als glatten Affront empfinden müssen. Überflüssige Doppelungen gebe es nicht, schrieb Powell. So seien die Luftstreitkräfte der verschiedenen Waffengattungen mit voller Absicht eingerichtet worden, „um den Gegner aus allen Richtungen bei Tag und Nacht überwältigen zu können“.

Es mag am konfrontativen Verhalten Powells gelegen haben, daß Verteidigungsminister Les Aspin den Generälen letzte Woche ohne überflüssige Höflichkeiten Hausaufgaben verordnete. In einem knappgehaltenen Schreiben forderte Aspin Luftwaffe, Heer, Marine, US-Marines sowie die für SDI zuständige „Strategic Defense Initiative Organisation“ auf, Kürzungsvorschläge in Höhe von insgesamt 10,8 Milliarden Dollar vorzulegen. Grundlage ist das noch von der Bush-Administration veranschlagte Verteidigungsbudget für das Haushaltsjahr 1994 in Höhe von 280 Milliarden Dollar. Für 1993 beträgt der Verteidigungsetat 283 Milliarden Dollar. Die Eile auf seiten der Clinton-Administration ist verständlich: Bis zum 23. Februar soll das Pentagon seine Budgetvorstellungen dem neuen Budgetdirektor Leon Panetta vorlegen. Einen Monat später, am 23.März, muß Clinton seinen gesamten Haushaltsplan im Kongreß präsentieren.

Mit Powell werden sich Clinton und Aspin nicht nur über Sinn oder Unsinn einer vierfachen Luftwaffe streiten müssen. Der Verteidigungsminister und sein ranghöchster Militär sind sich zudem uneins darüber, welche Rolle die US- Streitkräfte in Zukunft spielen sollen. Während sich Aspin begrenzte Militäreinsätze zum Beispiel in Bosnien durchaus vorstellen kann, hält Powell nichts von solchen Ideen „sogenannter Experten“, wie er unlängst in einem Aufsatz des Magazins Foreign Affairs schrieb. Bei dieser Gelegenheit erteilte er dem neuen Präsidenten auch noch die Warnung, etwaige Budgetkürzungen nicht zu schnell vorzunehmen. Andernfalls sei mit wachsender Arbeitslosigkeit durch Entlassungen in der Rüstungsindustrie und sinkender Moral und Kampfbereitschaft der Armee zu rechnen.

So manches an dieser Auseinandersetzung zwischen den Generälen und der neuen Administration in Washington erinnert an das Aufsatzthema des preisgekrönten Oberstleutnant Charles Dunlap. Die Putschabsichten gehören in den Bereich der Fiktion, die politischen Ambitionen keineswegs. Mit seinen gezielten Bremsmanövern gegen Bill Clinton kann sich Colin Powell durchaus als Kandidat um das Präsidentenamt im Jahre 1996 profilieren.