Asylkompromiß „nur ein erster Schritt“

■ Interview mit dem stellv. SPD-Vorsitzenden Wolfgang Thierse

taz: Bei den Asylverhandlungen sind alle Ansätze einer integrativen Ausländerpolitik, für die die SPD eintreten wollte, auf der Strecke geblieben. Warum?

Thierse: Der Asylkompromiß ist ein wirklicher und auch ein bitterer Kompromiß. Die SPD hat Vorschläge zur Neuregelung der Staatsbürgerschaft, zum Kommunalwahlrecht für Ausländer und zu einer gesetzlichen Regelung der Zuwanderung in die Verhandlungen eingebracht. Dies war nicht durchsetzbar. Das muß aber nicht heißen, daß die SPD an diesen Zielen nicht weiter festhält. Im Gegenteil, ein Kompromiß ist ein Zwischenschritt. Gerade deshalb ist es ganz wichtig, daß wir alle drei Themen weiter verfolgen.

Die SPD hat im Vorfeld der Verhandlungen von einem Paket zur Neuregelung der Zuwanderung gesprochen. Die Koalition hat sich aus diesem Paket genommen, was sie brauchte, nämlich die Zustimmung zur Änderung des Artikels 16. Vom Rest hat die SPD nichts durchsetzen können. Ich sehe da keinen Kompromiß.

Es gab ja ein paar andere Dinge: die Verteidigung des Grundrechts auf Asyl, die Verteidigung der Rechtsweggarantie. Bei den laufenden Detailverhandlungen versucht die Regierung auch hier nach wie vor aufzuweichen. Für mich ist wichtig: Der Asylkompromiß ist nur ein erster Schritt. Die SPD hat jetzt zwei Gesetzentwürfe zur Einbürgerung und zur Zuwanderung erarbeitet, und wir werden auch weiterhin für das kommunale Wahlrecht eintreten.

Wo soll das Interesse der Union denn herkommen, sich auf diese Projekte einzulassen, die sie während der Asylverhandlungen klar abgelehnt hat. Oder wird die SPD das noch einmal mit der Frage ihrer endgültigen Zustimmung zum Asylkompromiß verknüpfen?

Nein, ich glaube nicht, daß es dafür Aussichten gibt. Man kann ein Verhandlungsergebnis nicht beliebig verändern. Man kann es nur im Detail noch korrigieren oder verteidigen, wenn ein Verhandlungspartner es anders interpretiert. Doch bei den Gesetzesvorhaben zur Zuwanderung und zur erleichterten Einbürgerung geht es nicht wie beim Asyl um das Grundgesetz ändernde, sondern um einfache Mehrheiten. Da denke ich über die Union hinaus. Für ein einfaches Gesetz braucht man nicht die Union, oder man braucht sie nicht vollständig.

Welche Rolle spielt der gesellschaftliche Stimmungsumschwung der letzten Wochen für die Durchsetzung dieser Ziele?

Wenn wir ernstnehmen, daß es eine Mehrheit gibt, die bereit ist, gegen Gewalt gegen Ausländer anzutreten, die bereit ist, Ausländer in diesem Lande als gleichberechtigte Menschen zu akzeptieren, dann kann man daraus auch eine Mehrheit ableiten, die sie zu wirklich gleichberechtigten Bürgern machen will. Und das ist eine Chance, die wir Politiker nicht ungenutzt lassen sollten. Das wird nur erfolgreich sein, wenn es durch eine breite öffentliche Debatte oder Bewegung unterstützt wird.

Die Gefahr, daß die Erfahrung mit der Asyldebatte und der Einschränkung des Asylrechtes die Initiativen für eine Einwanderungspolitik, für eine andere Ausländerpolitik regelrecht im Keim erstickt, sehen Sie nicht?

Es wäre eine Selbstlähmung der SPD, der liberalen und linken Öffentlichkeit, wenn sie jetzt wie das Kaninchen auf die Schlange auf den Asylkompromiß starrt und keinen Schritt weiter tut. Die Debatte muß gerade deshalb geführt werden, weil in dem Asylkompromiß bestimmte Dinge nicht erreichbar waren. Wir müssen eine humane Form von Begrenzung, von Auswahl und Lenkung des Zustroms von Flüchtlingen finden. Wenn man dies akzeptiert hat, erleichtert das durchaus den nächsten Schritt: Recht auf Einbürgerung unter klar definierten Bedingungen, Zuwanderungsmöglichkeiten, die gesetzlich festgelegt und natürlich mit politischen, sozialen und wirtschaftlichen Kriterien verbunden sind.

Gibt es eine Zeitperspektive?

Ich bin unsicher hinsichtlich der Zeitvorstellungen. Wenn wir das in diesem Jahr diskutieren, aber unter den Mehrheitsverhältnissen im Bundestag nicht durchbekommen, ist das denkbarerweise dann ein Thema für das dramatische Jahr 1994. Interview: Matthias Geis