Deutscher werden kann nach wie vor nur, wer deutsche Eltern hat. Spätestens nach erfolgter Ratifizierung der EG-Verträge wird das deutsche „Blutrecht“ ein entscheidendes Hindernis für die rechtliche Integration von ImmigrantInnen sein.

Gegen den deutschen Anachronismus

Von Götz George über Franz Alt bis zu Wolfgang Thierse sind alle dafür. Selbst die Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger würde sich einer entsprechenden Initiative „nicht in den Weg stellen“. Trotzdem kommt die Sache bislang nicht in Gang. Die Rede ist von einer Neuregelung der deutschen Staatsbürgerschaft, und zwar in der Art, daß alle, die hier geboren werden, auch den deutschen Paß bekommen und andere einen Anspruch auf Einbürgerung erhalten, bei der sie ihre bisherige Staatsbürgerschaft nicht aufgeben müssen.

Seit der frühere nordrhein- westfälische Ministerpräsident Heinz Kühn von der Regierung Schmidt zum ersten Ausländerbeauftragten der Bundesregierung ernannt wurde, gehört die Forderung nach einer erleichterten Einbürgerung und die Zulassung einer doppelten Staatsangehörigkeit zum festen Repertoire aller Ausländerbeauftragten. Spätestens seit Mitte der 70er Jahre wird auch darüber gestritten, ob die BRD nun ein Einwanderungsland sei oder nicht. Rein faktisch ist diese Frage längst entschieden: Fast 80 Prozent der in den sechziger Jahren angeworbenen ArbeiterInnen aus der Türkei wollen mit ihren Familien dauerhaft in Deutschland bleiben. Woran es hapert, ist die Wahrnehmung der Realität und die Bereitschaft, daraus auch entsprechende politische und rechtliche Konsequenzen zu ziehen.

Die Debatte um die Aufnahme von Flüchtlingen und die jetzt beschlossene Änderung des Grundgesetzartikels 16 hat nun auch bis in konservative Kreise hinein die Forderung nach einem neuen Selbstverständnis der Bundesrepublik laut werden lassen. Dazu kommt, daß die europäische Integration, sollten die Maastricht- Verträge ratifiziert werden, einige deutsche Besonderheiten endgültig anachronistisch erscheinen läßt. Im Gegensatz zu fast allen anderen EG-Ländern basiert das deutsche Staatsbürgerrecht auf dem Abstammungsprinzip: Deutscher kann nur werden, wer deutsche Eltern hat. Dagegen wird Franzose, Brite oder Niederländer, wer im Land geboren wird und auf Dauer dort lebt. Dieses deutsche „Blutsrecht“ wird zunehmend zu einem entscheidenden Hindernis für die rechtliche Integration von ImmigrantInnen, gleichzeitig liefert es deutschen Rassisten Argumentationshilfe. Nicht zuletzt deshalb hat der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, noch während der laufenden „Asyldebatte“ mehrfach gefordert, „wer hier geboren wird, muß auch Staatsbürger sein“.

Abstammungsrecht um territoriale Variante erweitert

Der Schauspieler Götz George gehört mit rund 50 anderen Prominenten aus Kultur, Politik und Wissenschaft zu den Erstunterzeichnern eines Aufrufs, mit dem Unterschriften für ein neues Staatsbürgerschaftsrecht und die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft gesammelt werden sollen. Eine Million Unterschriften für eine Republik, die endlich die Blutsbande als konstituierendes Moment des „Staatsvolkes“ hinter sich läßt, erhoffen sich die Initiatoren, die an diesem Mittwoch ihre Kampagne der Öffentlichkeit vorstellen wollen (siehe Faksimile auf dieser Seite).

Möglicherweise rennen die dann eine Million Bundesbürger in Bonn aber auch offene Türen ein. Am Donnerstag letzter Woche stellte die amtierende Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, die FDP-Politikerin Cornelia Schmalz-Jacobsen, den „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Staatsangehörigkeitsrechts“ vor, das sich wie die juristische Ausformulierung des geplanten Bürgerbegehrens liest. Erreicht werden soll mit dem Gesetz die „Hinnahme einer doppelten Staatsangehörigkeit, die Einführung des ius soli bei der Vererbung der Staatsangehörigkeit sowie die Verabschiedung weitergehender Rechtsansprüche auf Einbürgerung in den notwendigen rechtlichen einheitlichen Rahmen“. Die Ausländerbeauftragte schlägt vor, das „Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz“ vom 22.Juni 1913 so zu ändern, daß Kinder, die in Deutschland geboren werden, für den Fall, daß beide Eltern ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit erlangen.

Um das Problem der „Rußlanddeutschen“ und anderer im Ausland lebender qua Abstammung deutscher Staatsbürger zu umgehen, will Schmalz-Jacobsen eine Änderung unterhalb der Verfassungsebene. Das Abstammungsrecht soll nicht abgeschafft, sondern nur um die territoriale Variante ergänzt werden. Wer nicht automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit bekommt, soll nach dem Gesetzentwurf einen Regelanspruch auf Einbürgerung geltend machen können, wenn er/sie acht Jahre in der BRD gelebt hat, seit fünf Jahren Asylrecht genießt oder mit einem/einer Deutschen verheiratet ist. Da seit langem bekannt ist, daß viele ImmigrantInnen vor einer Einbürgerung nur deshalb zurückschrecken, weil sie in dem Fall ihre bisherige Staatsbürgerschaft aufgeben müssen, will Schmalz-Jacobsen die doppelte Staatsbürgerschaft von der Ausnehme zur Regel machen.

Wenn eine Berliner Türkin ihr Kind in Holland bekommt...

In der letzten Woche sind diese Vorstellungen in der FDP-Fraktion vorab diskutiert worden, da man in der Koalition damit rechnet, daß die SPD bei den Gesprächen über die rechtliche Umsetzung des „Asylkompromisses“ ebenfalls auf entsprechende Forderungen zurückkommen wird. Wolfgang Lüder, einer der Innenpolitiker der Fraktion, sieht innerhalb der FDP gute Chancen für die Vorstellungen der Ausländerbeauftragten. Da selbst Noch-Parteichef Graf Lambsdorff für die Einführung einer doppelten Staatsbürgerschaft eintritt, glaubt Lüder an eine Mehrheit in der Fraktion.

Lüder verweist auch auf die Perspektiven der europäischen Integration. Wenn Mitte der neunziger Jahre tatsächlich eine EG-Staatsbürgerschaft eingeführt wird, die neben den bestehenden nationalen Staatsbürgerrechten Gültigkeit haben soll, wäre folgender Fall denkbar: Da beispielsweise in den Niederlanden das Territorialprinzip gilt, bräuchte eine in Berlin lebende Türkin nur zur Geburt ihres Kindes nach Holland zu fahren, damit dieses EG-Bürger wird. Als holländischer EG-Bürger hätte das Kind dann auch in Berlin alle staatsbürgerlichen Rechte, die die EG ihrem „Staatsvolk“ zubilligt.

In der FDP ist deshalb auch Justizministerin Leutheusser- Schnarrenberger für eine Änderung des Staatsbürgerrechts offen. Da die Federführung für eine solche Gesetzesänderung aber beim Innenministerium liegt, könne, so ihr Sprecher, „die Justizministerin nicht die Initiative ergreifen“. Das sieht Wolfgang Lüder auch so. „Die Initiative dafür muß von der SPD kommen. Wenn die SPD das hart fährt, findet sie bei uns Resonanz.“ Jürgen Gottschlich