Debatte
: "Eine haarsträubende Vereinfachungsstrategie!"

■ Die GAL-Abgeordnete Anna Bruns wendet sich gegen einen Militäreinsatz in Ex-Jugoslawien

DEBATTE

»Eine haarsträubende Vereinfachungsstrategie!« Die GAL-Abgeordnete

Anna Bruns wendet sich gegen einen Militäreinsatz in Ex-Jugoslawien

UNO-Intervention und Waffenlieferungen an Bosnien-Herzegowina? Beharren auf Gewaltfreiheit und Antimilitarismus trotz brutaler Menschenrechtsverletzungen? Hamburgs Grüne im Streit um die deutsche Haltung zum Krieg in Ex-Jugoslawien. Im zweiten Beitrag der taz-Debatte fordert die GAL-Bürgerschaftsabgeordnete Anna Bruns mehr „Realitätssinn“ von den realpolitischen Befürwortern eines Militäreinsatzes, vor allem aber die Beantwortung wichtiger Fragen: Wer soll den Einsatz durchführen? Wer erteilt das Mandat dazu? Welche politischen Ziele sollen angestrebt, welche Verluste in Kauf genommen werden?

1Seit 1945 wurden Hunderte von Kriegen in der „Dritten Welt“ geführt. Die Gesamtzahl der Opfer reicht nach Schätzungen an die des zweiten Weltkriegs heran. Menschenrechtsverletzungen, Massaker und Greueltaten treffen vor allem die Zivilbevölkerung. Allein in Mosambik sind über die Hälfte der etwa eine Million Toten Kinder.

Was unterscheidet die Schrecklichkeiten in Jugoslawien von all diesen Barbareien? Sind tote Afrikaner weniger schlimm als tote Europäer? Gibt es eine Hierarchisierung der Opfer? Ganz offensichtlich: ja! Per Tischvorlage wird der Grundkonsens der Grünen, zu dessen tragenden Pfeilern die Ablehnung von Krieg und Waffenexpor-

1ten gehört, für Jugoslawien aufgekündigt. Hier entwirft man plötzlich in sprachlichen Verschleierungen nebulöse und irrationale Kriegsszenarien. Hier sollen „UNO-Friedenstruppen entsetzen, befreien, entwaffnen, zurückführen und Grenzen sichern“. Nur gelegentlich wird die Katze ein bißchen mehr aus dem Sack gelassen, und dann liest man schon mal von „massivem Militäreinsatz“ und „massiver Militärmacht“. Hier wenigstens schlägt der Realitätssinn noch einmal kurz zu; denn daß sich dieser Wunschzettel, dem sich moralisch niemand verweigern wird, nicht mit friedlichen Blauhelmen abarbeiten läßt, ist ein offenes Geheimnis. Darüber hinaus aber bleibt alles andere im Dunkeln:

Wer soll's denn nun machen? Die Nato, die WEU, die USA? Unter welcher Führung, mit welcher Stärke? Mit welchem Mandat, mit welcher politischen Legitimation, mit welchem politischen Ziel, mit welcher zeitlichen Perspektive? Mit welchen Waffen, mit welchen Verlusten, mit welchen Risiken? Mit deutschen Soldaten? Und wer ist der Gegner? Und warum gerade in Jugoslawien, oder wo ab jetzt sonst noch? Warum nicht gleichzeitig in Afghanistan, im Sudan, in Kambodscha, in den GUS-Staaten, in denen täglich gemetzelt wird? Verdammt nochmal: Warum verweigern sich ausgerechnet Menschen, die sich stolz zum realpolitischen Urgestein der Grünen zählen, diesen konkreten Fragen? Warum verabschieden sich gerade diejenigen, die das „Machbare“ der Politik an jedem popeligen Kantstein abfragen, von jeglichem Realitätssinn? Warum kommt gerade aus dieser Ecke eine so haarsträubende Vereinfachungsstrategie?

Hier ist Realpolitik in tiefsten moralischen Fundamentalismus umgekippt und vermengt sich mit dem, was für manche Grüne zu einem modischen Sport geworden ist, nämlich die „Beherztheit“, Tabus zu brechen, mit dem „Die-Nase-vorne-haben-wollen“, mit der Abrechnung mit der eigenen ideologischen Vergangenheit, mit dem Trauma des auslaufenden Modells. Diese Gemengelage an diesem Punkt führt zu politischem Kamikaze.