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: Teegebäck und Rätselglück

■ "Mandelküßchen"

„Mandelküßchen“, Montag, 19.25Uhr, ZDF

Der erste Satz ist, wie sollte es anders sein, immer der schwerste. Vor allem, wenn zwei konträre Empfindungen miteinander wetteifern. Positiv zu vermerken ist zunächst die Tatsache, daß die Interieurs im ZDF-Film „Mandelküßchen“ den Namen verdienen. Und zwar weil sie ausnahmsweise nicht ausgeleuchtet sind wie ein Schlachthaus. Zudem ist kein einziges Ikea-Regal zu sehen. Auch die Außenaufnahmen sind für diese Sendezeit ansprechend stimmungsvoll gefilmt. Wenn Constanze Engelbrecht zum ersten Rendezvous mit ihrem Erpresser Limbach auf Stöckeln über den nächtlichen Bootssteg tippelt, so ergibt das ein in Blau- und Brauntönen atmosphärisch ausgewogenes Bild. Nur ihr quietschrotes Kleid paßt nicht. Doch das mag an meinem lau lodernden Colorfernseher liegen, den ich für DM 50,– einem Bekannten abgekauft habe, der mir seit drei Monaten die Fernbedienung vorbeibringen will. Ohne Schaltprügel war ich an das gesamte Programm gefesselt, weil ich mich kurz vorher an einem schweren Hängeregisterschrank verhoben hatte, so daß meine schmerzende Hüfte Regungslosigkeit erzwang.

Auf diese Weise fühlte ich mich so behindert wie der vorzeitig in den Ruhestand versetzte Amtsrat Herbert Limbach. Je besser Vadim Glowna diesen unterwürfig-miesen Feierabend-Erpresser mimte, desto mehr fragte ich mich: Was will diese attraktive Grundbesitzerin mit all ihren scharfen Dessous von diesem buckligen Puddingfrosch? Klarer Fall. Sicher will sie nur sein Vertrauen erschleichen, um ihn umzubringen. Vielleicht wirft sie seine Leiche dann in einen alten Brunnen. Doch falsch gedacht! Anders als in der literarischen Vorlage entpuppt sich die TV- Version als eine raffiniert eingefädelte Liebesaffäre ohne größeres Verbrechen. Sonst hätte der windige Privatdetektiv alias Tilo Prückner seine vermeintlichen Recherchen über angebliche Giftmorde mit Mandelplätzchen ja auch nicht aus dem Kochbuch vorgelesen. Sobald man sich ein wenig Mühe gibt und über den Film logisch nachdenkt, wird er plausibel. Wobei ich Zweifel hege, ob meine Mutter den Plot ebenso verstanden hätte.

Die Moral von dieser Geschichte: Auch ein physiognomisch degoutanter Amtsrat im vorzeitigen Ruhestand kann eine attraktive Frau aus verarmtem Geldadel samt Sauna und Grundbesitz abbekommen. Die Rolle des Zuschauers in dieser Dramaturgie des verhinderten Bungee- Sprungs ist die, daß er anderthalb Stunden auf einen Mord wartet, um sich hinterher sagen zu müssen: Ganz schön raffiniert! Es gab ja gar keinen Mord. Das ist eine dieser Geschichten, die man besser nacherzählt, als daß man ihr 90 Minuten beiwohnt. Nur eines habe ich vergessen: Nachzuzählen, wieviel verschiedene Kleider Constanze Engelbrecht insgesamt trug. Darüber erteilte auch das ansonsten detailfreudige „ZDF Monatsjournal“ – mit einem Griff im neuen Hängeregisterschrank gegriffen – keine Auskunft. Manfred Riepe