Unschuld verloren

■ DS-Kultur kippte ein Radiofeature über die Treuhand

Die Treuhand ist Inbegriff aller Einverleibungstendenzen des Westens gegenüber dem Osten. Eine wirtschaftliche Riesenmacht, die über Tod und manchmal auch Leben der meisten Ost-Betriebe bestimmt und so wie nebenbei den Aufschwung von Rewe, Tengelmann, Siemens, Osram, PreussenElektra und wie sie alle heißen mögen befördert.

Wie das im einzelnen funktioniert, darüber hat der Westberliner Autor Paul Kohl ein Radiofeature gemacht. Als fleißiger Zeitungsleser und Besucher der Bibliohetk der Berliner Industrie- und Handelskammer hat er Fakten zusammengetragen, die einen, obwohl man doch schon viel zu wissen glaubt, zum Staunen bringen. Nahaufnahmen von Leuten, die sich alles erlauben können und die, obwohl Verfassungsklagen gegen sie laufen und der Bundesrechnungshof ihnen schon mal „ungerechtfertigte Selbstbedienung“ vorwirft, trotzdem bei vielen als Retter der Nation dastehen. Die Chefs vom Deutschlandsender (DS) Kultur – der liberalere, vom ZDF kommende Reinhard Appel ausgenommen – haben die im vorigen Sommer geplante Ausstrahlung dieser vom Sender mitproduzierten Sendung verboten. Vorauseilender Gehorsam war es wohl, der Lothar Loewe, einem der beiden „treuhänderischen“ Aufpasser von DS-Kultur, das Manuskript in die Hände spielte.

Daß Loewe, der schon früher zensurfreudige Rechtsausleger, nichts auf seinen „Freund“ Rohwedder kommen lassen wollte und nichts Besseres wußte, als ein harsches „Nein“ auszusprechen, war da nur konsequent. Doch selbst die DS-Chefredakteurin Monika Künzel, eine Ostlerin und wegen ein paar Marxzitaten in ihrer Dissertation mehrfach in die Springer- Presse geraten, stimmte dem Verbot zu. Erst jetzt wurde der ganze Vorgang bekannt, als der Autor Paul Kohl in einer öffentlichen Vorführung im Bürgerhaus Grünau sein Feature zur Diskussion stellte. Er löste damit erregte Debatten aus, die sich an ein paar schwachen Punkten seiner Argumentation entzündeten, jedoch auch deutlich machten, daß viele Bürger der alten DDR immer noch von Verdrängungen leben: Obwohl der Westen ihrer Karriere den Garaus gemacht hat, halten sie sich am Glauben aufrecht, daß daran nur die alten Ost-Herren schuld sind.

Seinen guten Ruf als eine der wenigen im Fahrwasser eines Aufbruchs aus SED-Zwängen dahinsegelnden Ost-Einrichtungen hat DS-Kultur mit dem Verbot jedenfalls aufs Spiel gesetzt. Er hat sozusagen seine Unschuld verloren und sich den nach Machtproporz und politischer Rücksichtnahme handelnden Anstalten hinzugesellt. Pikanterweise haben übrigens nicht nur der Saarländische Rundfunk (5.7.92) und der ORB (13.7.92), sondern auch der „Schwarzfunk“ MDR (10.8.92) die Gelegenheit genutzt, das Treuhand-Feature zu senden und als Konkurrenten von DS-Kultur einen Schritt nach vorne zu tun. Michael Franke