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Verwischte Todesspur der Neonazis

In der Aufstellung des Bundesamts für Verfassungsschutz für 1992 fehlen mehrere Opfer von rechtsextremistischen Übergriffen/ BKA bezweifelt sogar eigene Angaben  ■ Von Bernd Siegler

Nürnberg (taz) – Am 31.Januar 1992 brach in einem Flüchtlingswohnheim im hessischen Lampertheim ein Feuer aus. Drei Menschen aus Sri Lanka kamen dabei ums Leben, das Haus brannte bis auf die Grundmauern ab. Schon kurz nachdem die Flammen gelöscht waren, glaubte die ermittelnde Kriminalpolizei in Heppenheim, einen Anschlag ausschließen zu können. Man gehe von „einem technischen Defekt“ aus, hieß es. Damit war das öffentliche Interesse an dem Brand mit den drei Todesopfern erloschen. Kaum jemand registrierte dann im Herbst 1992 das Ermittlungsergebnis der Staatsanwaltschaft Darmstadt. Wegen fahrlässiger Brandstiftung hatte man drei deutsche Heranwachsende verhaftet.

„Siebzehn Tote aufgrund von Übergriffen mit rechtsextremistischer Motivation“ lautet die Jahresbilanz 1992 des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Die drei Toten aus Lampertheim tauchen in dieser Statistik nicht auf. Dabei hatten die drei kurzzeitig Festgenommenen ein Geständnis abgelegt, den Brand verursacht zu haben. Sie gaben an, sie hätten dem Heim am frühen Morgen einen „Besuch“ abstatten wollen. Dann hätten die drei, so ein Sprecher der Darmstädter Staatsanwaltschaft, „herumgeblödelt“. Einer hätte gefragt, „wie es denn wäre, jetzt einen Brand zu legen“, und hätte dann einen Putzlappen angezündet. Nachdem die beiden anderen mit dem Vorhaben nicht einverstanden gewesen wären, hätte man den Putzlappen wieder ausgetreten und in einen Papierkorb im Treppenhaus geworfen. Der Papierkorb entzündete sich, das Feuer breitete sich rasend schnell im Treppenhaus aus.

Die Staatsanwaltschaft Darmstadt hat sich voll und ganz der Version der mußtmaßlichen Täter angeschlossen und spricht von einer „fahrlässigen Brandstiftung aus Doofheit“ – ganz so, als wäre es natürlich und normal, in einem Flüchtlingswohnheim auf die Idee zu kommen, ein Feuer zu legen. Daß es in und um Lampertheim eine rege rechtsextreme Szene gibt und schon mehrere Brandanschläge auf Flüchtlingswohnheime verübt worden waren, hindert Oberstaatsanwalt Nauth nicht, „Fremdenfeindlichkeit als Tatmotiv völlig auszuschließen“.

Die Toten von Lampertheim sind jedoch nicht die einzigen, die in der Opferliste des Bundesamts für Verfassungsschutz fehlen. Ein 18jähriger, der im brandenburgischen Gransee in der Nacht zum 5.Januar 1992 nach einem Discobesuch von etwa 15 Skinheads totgeprügelt worden war, hat darin ebenso keinen Platz wie der Koblenzer Obdachlose Frank Bönisch, der am 24.August 1992 von einem Skinhead erschossen worden war. Auch den stark sehbehinderten Mann, der am 15.Dezember 1992 in Siegen von zwei Skinheads brutal zusammengeschlagen worden war und drei Wochen später an seinen schweren Verletzungen starb, sucht man in der Opferstatistik der Kölner Behörde vergebens. In einer Bundestagsanfrage führt die PDS-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke noch weitere drei ausländische Todesopfer in Reilingen, Jänschwalde und Berlin an und will wissen, warum sie in der Auflistung der Todesopfer aufgrund rassistischer Gewalt nicht auftauchen.

Nicht nur bei der Anzahl der Todesopfer erscheint die Statistik des Bundesamtes für Verfassungsschutz als geschönte Aufstellung. Während man in Köln für das Jahr 1992 2.285 Gewalttaten mit erwiesener oder vermuteter rechtsextremer Motivation gezählt hat, registrierte das Bundeskriminalamt in Wiesbaden bereits Ende November 4.900 Straftaten mit vermuteter fremdenfeindlicher Motivation. Offiziell wird als Grund für diese erhebliche Differenz angegeben, daß man in Köln nur ausgesprochene Gewalttaten wie Körperverletzung, Totschlag oder Brandstiftung registriere, in Wiesbaden aber zusätzlich Delikte wie Volksverhetzung und rassistische Beleidigungen. Die Grauzone ist dabei aber erheblich – ein Manko aufgrund des Fehlens eines einheitlichen bundesweiten Meldedienstes und damit einheitlicher Kriterien. Den hatte schon kurz nach Hoyerswerda im September 1991 der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und kurz nach Rostock erneut sein Nachfolger Rudolf Seiters gefordert. Geschehen ist bislang nichts.

So ist das Bundeskriminalamt weiterhin angewiesen auf das, was von den einzelnen Landeskriminalämtern für wichtig genug für eine Weitergabe erachtet wird – und das ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Ein Schlaglicht auf die Meldepraxis der Landeskriminalämter wirft die Aussage des Bundesinnenministeriums vom 10.November 1992, wonach dem BKA im Monat August „Todesfälle im Zusammenhang mit fremden-/ausländerfeindlich motivierten Straftaten nicht gemeldet“ worden seien. In diesem Monat hatten Skinheads vier Menschenleben auf dem Gewissen. So hielt es das LKA Rheinland-Pfalz nicht für nötig, den Tod zweier Obdachloser am 1.August in Bad Breisig und am 24.August in Koblenz der Zentrale in Wiesbaden weiterzuleiten. Der Tod eines polnischen Saisonarbeiters in Stotternheim am 3.August erschien dem thüringischen LKA ebenso zur Weitergabe zu belanglos wie der obersten Berliner Polizeibehörde der Tod eines Stadtstreichers am 29.August.

Angesichts des unterschiedlichen Meldeverhaltens der Polizeidienststellen hat selbst BKA-Chef Hans-Ludwig Zachert erhebliche Zweifel daran, daß „dem BKA als Zentralstelle alle fremdenfeindlichen Straftaten bekannt geworden“ seien. Zumal diese Taten „offensichtlich nicht einheitlich als politisch motivierte Taten bewertet“ würden. Für Zachert gibt es „Hinweise darauf, daß nicht alle Geschädigten die Straftaten zur Anzeige brachten“. Dafür seien „sprachliche Gründe oder schlichte Angst“ verantwortlich.

Im Bundesinnenministerium fühlt man sich „mangels ausreichender Erkenntnisse“ außerstande, diese Dunkelziffer für ausländerfeindliche und rechtsextremistische Straftaten zu quantifizieren. Wenn es um Flüchtlinge geht, hat man da weit weniger Probleme, mit entsprechenden hochgerechneten Zahlen an die Öffentlichkeit zu gehen. So operiert das Bundesinnenministerium bei den illegalen Grenzübertritten an der deutsch- polnischen und deutsch-tschechischen Grenze mit bis zu fünffachen Hochrechnungen der ermittelten Übertritte.

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