Truppenstärke soll weiter sinken

■ Unionsexperte: 1995 noch 300.000 Bundeswehrangehörige und zehnmonatiger Wehrdienst/ Wehrpflicht oder Berufsarmee?/ Zivildienstleistende machen Rechnung zur Abschaffung des Zivildienstes auf

Berlin (taz) – Streit zwischen Kohl und Rühe? Hat es nie gegeben. Dies verkündeten die beiden Streithähne, unmittelbar nachdem sich Rühe bitter über das „Diktat“ des Finanzministers beschwert hatte, das Einsparungen bei seiner Truppe erzwinge, und Kohl ihm geantwortet hatte, dieses „Diktat“ habe es nicht gegeben. Der Streit um Geld und Wehr kann also weitergehen.

Und er geht weiter. Während Rühe Rüstungsprojekte stoppt und über eine Truppenstärke von 320.000 statt der bisher geplanten 370.000 ab 1995 unkt, prophezeit der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Paul Breuer, bereits einen abgemagerten Wehrkörper von nur noch 300.000 Mann ab Mitte des Jahrzehnts. Wehrplichtige müßten zehn Monate dienen. Zur Zeit zählt die Bundeswehr noch 425 000 Soldaten.

Doch auch in der Defensive weiß Rühe noch optimistische Lageberichte abzugeben. So freut er sich, „daß die jüngste Debatte Kräfte der Unterstützung für die Bundeswehr freigesetzt hat“. Und: „Es geht um die Zukunft der Bundeswehr.“ Das ist das eigentliche Thema: Während die Diskussion innerhalb der Regierungsparteien sich auf die Frage der Truppenstärke (über die bis Ende des Jahres entschieden werden soll), über die Höhe der finanziellen Einsparungen bei Rüstungsprojekten für den Solidarpakt (über die am 4. März im Kabinett debattiert werden soll) oder um die Schließung von Truppenstandorten (die Rühe am Freitag bekannt gibt) beschränkt, ist die öffentliche Diskussion längst weiter.

Es geht um die ganz grundsätzliche Frage, ob es weiterhin eine allgemeine Wehrpflicht geben wird, wie Kohl und Konsorten steif und fest behaupten, oder ob nicht vielmehr eine Berufsarmee die Zukunft der deutschen Verteidigungspolitik sein könnte. „Wehrpflicht am Ende?“ fragt der Spiegel und antwortet: „,Die Schule der Nation‘ kann schon bald geschlossen werden.“ Eine Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr hatte verkündet, daß es „militärisch, ökonomisch und gesellschaftlich kaum noch schlüssige Argumente“ für die Beibehaltung der Bundeswehr gäbe. Auch habe eine Kommission der sozialliberalen Regierung bereits vor zwanzig Jahren die Frage der Umwandlung der Bundeswehr in eine Freiwilligenarmee im Fall einer „wesentlichen Veränderung der sicherheitspolitischen Lage“ empfohlen. „Der Fall ist eingetreten, die Lage der Nation wesentlich verändert.“

Befürworter einer Aufrechterhaltung der Bundeswehr argumentieren unterdessen ironischerweise mit den sonst so ungeliebten Kriegsdienstverweigerern. Würde man die Bundeswehr zu Grabe tragen, so der Gedanke, gäbe es niemanden mehr, der nicht zur Bundeswehr gehen wolle und also keine Zivildienstleistenden mehr. Fazit: Das soziale Netz würde zusammenbrechen, klagt beispielsweise die „Arbeiterwohlfahrt“. Dies anderweitig zu gewährleisten, sei unbezahlbar.

Gegen diese Inanspruchnahme setzen sich die Zivildienstleistenden nun zur Wehr. Die ZDL (Selbstorganisation der Zivildienstleistenden) bezeichnet die Prognose von der Katastrophe für die sozial schwachen, hilfsbedürftigen Menschen als „unverantwortliche Panikmache“ und „schlicht unseriös“.

Vielmehr sei der Ausstieg aus dem Zivildienst ohne weiteres innerhalb von zwei bis drei Jahren möglich. Auch sei die Alternative überaus attraktiv: „Statt unausgebildete, zwangsrekrutierte Hilfskräfte müssen nach einem Stufenplan hauptamtliche Kräfte, mit fachlicher Ausbildung und entsprechender Bezahlung, eingestellt werden“, so eine Pressererklärung der ZDL.

Auch das Argument, daß es zu untragbaren Mehrkosten käme, sei unrichtig: Der Zivildienst sei nicht billiger als die Beschäftigung hauptamtlicher Kräfte. Während der Zivildienst jährlich 3,2 Milliarden Mark kostet, würde der Einsatz von Professionellen 3,6 Milliarden Mark kosten. ja