piwik no script img

Debatte"Hier erweist sich, was Menschenrechte noch wert sind"

■ Krista Sager, GAL-Abgeordnete, kritisiert die "hilflose Appeasement-Politik" gegenüber Serbien

DEBATTE

»Hier erweist sich, was Menschenrechte noch wert sind«

Krista Sager, GAL-Abgeordnete, kritisiert die »hilflose Appeasement-Politik« gegenüber Serbien

UNO-Intervention und Waffenlieferungen nach Bosnien-Herzegowina? Beharren auf Gewaltfreiheit und Antimilitarismus trotz brutaler Menschenrechtsverletzungen? Hamburgs Grüne im Streit um die deutsche Haltung zum Krieg in Ex-Jugoslawien. Im dritten Beitrag der taz-Debatte fordert die GAL-Bürgerschaftsabgeordnete Krista Sager, politische Forderungen zur Durchsetzung des Friedensgebots auch mit der ernsthaften Drohung mit militärischen Sanktionen zu verbinden. Sonst mache man sich unbeabsichtigt zum Helfershelfer von Aggressoren.

1å Es ist unlauter, die Diskussion über Pro und Kontra einer UNO- Intervention in Bosnien-Hercegovina mit dem Status unterschiedlicher Verantwortlichkeit zu führen. Auch diejenigen, die solche Schritte zur Durchsetzung des Friedensgebots polemisch als Kriegstreiberei denunzieren, sind mit der Frage nach den Folgen ihrer Haltung für die Menschen in Bosnien- Hercegovina, für die Völker des Balkans, aber auch für die Zukunft einer internationalen und europäischen Friedensordnung konfrontiert. Es wäre sicher unfair, die Gegner einer Intervention kurzerhand zu den Verantwortlichen für Deportationen, KZs, Vergewaltigungen, Massaker und Massenvertreibungen zu machen. Wer aber

1so tut, als trügen diejenigen erst den Krieg auf den Balkan, die meinen, daß den Menschen in Bosnien- Hercegovina endlich wirksam geholfen werden muß — notfalls auch durch einen begrenzten militärischen Einsatz der UNO —, der ist an einer ernsthaften Abwägung von Folgen und Risiken offensichtlich nicht interessiert. Wenn es in diesem Konflikt nicht gelingt, Ansätze dafür zu entwickeln, daß die Aufgabe, einen Friedensbrecher in die Schranken zu weisen, zukünftig nicht länger nur dem Opfer, sondern der Verantwortung der gesamten Staatengemeinschaft obliegt, werden Konfliktlösungen, die auf anderem beruhen als auf Großmachtstärke und Interessenvertretung, keine Chance mehr haben. Ein System kollektiver Sicherheit, das im Ernstfall auf der Überlegenheit der friedlichen Mitglieder einer Gemeinschaft über einzelne oder mehrere Friedensbrecher beruht, kann nicht grundsätzlich darauf verzichten, politische Forderungen zur Durchsetzung des Friedensgebots auch mit der ernsthaften Inaussichtstellung militärischer Sanktionen zu flankieren. Wer das Gewaltverbot des Völkerrechts so uminterpretiert, daß gerade dieser Sanktionsverzicht das sine qua non grüner Friedenspolitik sei, der hat nicht nur vieles falsch verstanden, sondern der wird unbeabsichtigt zum Helfershelfer von Aggressoren und knallharten Interessenpolitikern.

Auch wenn die völkerrechtlichen Instrumente von KSZE und UNO nach der Ost-West-Blockkonfrontation erhebliche Defizite normativer, funktionaler und organisatorischer Art aufweisen, entscheidet sich schon heute in Bosnien-Hercegovina, was die Rechte von Menschen und Völkern zukünftig in ähnlichen Konflikten noch wert sein werden. Und diese gibt es zu Hunderten. Welche Ermutigung für Aggressoren, wenn sie auf Basis lokaler militärischer Überlegenheit in Zukunft damit rechnen können, eine Politik der „ethnischen Säuberung“ und des Völkermords nicht nur ungeschoren durchsetzen zu können, sondern die Ergebnisse ihrer Eroberungspolitik auch noch auf internationaler Ebene abgesegnet zu bekommen. Das Regime in Belgrad hat für das Endziel Großserbien längst die „ethnische Säuberung“ des Kosovo und Mazedoniens vorbereitet. Dabei sind die weiteren Folgen für den Frieden in Europa den serbischen Propagandisten des totalen Krieges offensichtlich egal. Falls die gegenwärtige hilflose Appeasement-Politik zum

neuen internationalen Konsens über den Umgang mit ethnischen, religiösen und nationalistischen Konflikten wird, ist der Traum von einem friedlichen Zusammenleben in einem multikulturellen Europa schon heute verdammt, zum Alptraum zu werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen