„...zwingt doch der Geist den Staat“

■ Ausstellung in der Treuhandanstalt über Erwin Gehrts und die „Rote Kapelle“

Mitte. Für Christine Fischer- Defoy, Vorsitzende des „Aktiven Museums Faschismus und Widerstand“, war der gestrige Morgen etwas Besonderes. Zum einen, bekennt sie in ihrer Ansprache zur Eröffnung einer kleinen Ausstellung über die NS-Widerstandskämpfer Erwin Gehrts und Harro Schulze-Boysen, habe sie bis vor kurzem nicht glauben können, daß diese im Foyer der Treuhandanstalt hängen würde. Zum anderen lebe sie just in der früheren Wohnung von Schulze-Boysen und habe gerade seinen täglichen Gang zum Arbeitsplatz nacherleben können. Denn Gehrts und Schulze-Boysen hatten beide im damaligen NS-Reichsluftfahrtministerium gearbeitet, beide wurden im Herbst 1942 von der Gestapo verhaftet und später in Plötzensee hingerichtet – Gehrts vor genau 50 Jahren.

Zu Unrecht wurde die von den Nazis so getaufte „Rote Kapelle“, der Widerstandskreis um die Ehepaare Harro und Libertas Schulze- Boysen, Mildred und Arvid Harnack sowie Erwin Gehrts nebst über hundert weiteren Mitstreitern, jahrzehntelang als „Spionageorganisation für die Sowjetunion“ diffamiert. Tatsächlich hatte die Gruppe ab 1941 militärische Nachrichten nach Moskau gefunkt – mehr als 50 Mitglieder wurden deshalb wegen Hochverrats und anderen Delikten zum Tode verurteilt. Aber sie hatte auch mit anderen Kriegsgegnern Deutschlands Kontakt aufgenommen, Verfolgte und französische Kriegsgefangene unterstützt, Flugblätter verteilt und Nazi-Verbrechen dokumentiert. Hier tat sich vor allem Libertas Schulze-Boysen hervor, die als Dramaturgin der Kulturfilmzentrale im Reichspropagandaministerium heimlich Dokumente sammelte und deswegen ebenfalls in Plötzensee ermordet wurde. Zudem war die Gruppe politisch recht heterogen. Während Harro und Libertas Schulze-Boysen aus bürgerlichen, national gesinnten Familien stammten, war Erwin Gehrts ein Christ und „konservativer Revolutionär“, der wegen seiner auch im Dienst mutig vertretenen Positionen den Spitznamen „Der kleine Krach“ erhielt.

Barbara Gehrts, die Tochter des Ermordeten, erinnert sich in ihrer Ansprache an „frühe Bilder“: wie sie mit acht, neun Jahren den Vater in diesem „früher viel helleren“ Gebäude und später im gegenüberliegenden Gestapo-Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße 8 besuchte. Auch Harro Schulze-Boysen litt dort. Ein Kalfaktor fand hier unter dem Dielenboden sein letztes Gedicht, in dem er trotz Todesangst den eigenen Überzeugungen beeindruckend treu geblieben ist: „Wenn Köpfe rollen, zwingt doch der Geist den Staat.“

Daß diese heute als „Topographie des Terrors“ bekannte Stätte wieder ausgegraben wurde, ist maßgeblich der Bürgerinitiative „Aktives Museum“ zu verdanken. Ihre Vorsitzende wünscht sich denn auch „viele dezentrale Gedenkstätten“ statt der geplanten zentralen Kranzabwurfstelle an der Neuen Wache. Auch das Treuhand-Haus möge nicht „der Bonner Abrißbirne zum Opfer fallen“. „Sehr wahr“, freut sich hier Treuhandchefin Birgit Breuel. Ute Scheub

Ausstellung in der Treuhandanstalt, Haupteingangshalle, Otto- Grotewohl-Straße. Sonderausstellung „Rote Kapelle“, Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Stauffenbergstraße 13–14.