■ Eine leckere Methode zur Ehrung von Persönlichkeiten: Vom Napoleonshut zur Kanzlertorte
Erfurt (taz) – Bisher ehrte man bedeutende Personen, solche, die man für bedeutend hielt, und lokale Größen, indem man Straßen nach ihnen benannte oder ihnen Denkmäler errichtete. Aber Straßenschilder sich leicht auszuwechseln, und Denkmäler können gestürzt werden, wie wir in diesem Jahrhundert schon mehrfach erlebten.
Das Denkmal Christian Reicharts, des verdienstvollen Begründers des Erfurter Gartenbaus, mußte um 1900 einem martialischen Reiterstandbild Kaiser Wilhelms II. weichen. 1945 mußte Wilhelm Zwo vom hohen Roß, und der Kaiserplatz wurde in Karl- Marx-Platz umbenannt. So heißt er heute noch, obwohl in einem Ort nahe Erfurt sogar die Rooseveltstraße einen anderen Namen bekam. Das Denkmal für den großen kleinen Kaiser der Franzosen auf dem Erfurter Anger wurde 1813 von einer aufgebrachten Menge in Brand gesetzt, und an den Napoleonstempel im Steigerwald erinnert heute nur noch ein Gemälde des Erfurter Malers Dornheim. Aber noch lange nachdem Bonaparte das Zeitliche gesegnet hatte, wurde in Cafés und Konditoreien seiner gedacht, bei einem Stück Napoleon-Kuchen, Napoleon- Torte oder einem Mürbeteiggebäck, das wie ein Dreispitz geformt war und Napoleonshut genannt wurde. Das „Handbuch der Conditorei“, herausgegeben von A. E. Hennersdorf 1883 in Halle, liest sich wie ein Lexikon der Personen und Ereignisse des 19. Jahrhunderts. Der russische Zar Alexander, über dessen Begegnung mit Napoleon in Erfurt die Lokalhistoriker in epischer Breite berichten, ist dort ebenso verewigt wie „Marschall Vorwärts“ Blücher und Admiral Nelson. Der große Geiger Paganini verzauberte nicht nur sein Publikum, sondern inspirierte auch die Konditoren zur Herstellung eines Punschgebäcks, das einfach „Paganini“ hieß.
An die „Heilige Allianz“ zwischen Rußland, Preußen und Österreich aus dem Jahre 1815 erinnert die „Allianzschnitte“ und an den Wiener Kongreß das „Congreßtörtchen“. Keine wichtige Person, kein historisches Ereignis, das nicht durch die Zuckerbäcker gewürdigt wurde. Die Frauen waren, wie bei den Straßenbenennungen, unterrepräsentiert, doch der „Luisenkuchen“ nach der preußischen Königin ist auch heutigen Hausfrauen noch bekannt.
Selbst die hohe und niedere Geistlichkeit brauchte nicht zu fasten. Für sie gab es Apostel- und Cardinalskuchen, Nonnenbrot und Bischofsmützen. Der Direktor der thüringischen Eisenbahn schließlich konnte sich zu seinem Geburtstag einen „Eisenbahnkuchen“ backen lassen.
Leider ist diese leckere Methode der Ehrung von Personen und Ereignissen völlig aus der Mode gekommen. Dabei kostet sie den Fiskus und damit den Steuerzahler keine müde Mark und erspart monatelange aufgeregte Diskussionen über Straßennahmen und Denkmäler. Gleichzeitig hat sie den unbestreitbaren Vorteil, daß man sich, je nach politischer Gesinnung oder Stimmungslage, Napoleon, Blücher oder den ollen Wilhelm mit heiligem Schauder auf der Zunge zergehen lassen kann oder sie ingrimmig hinunterwürgt. Und wem heute der Kohl- Eintopf nicht schmeckt, der kann sich ja eine „Kanzlertorte“ backen lassen – auch wenn sie dem anderen Kanzler der deutschen Einheit, dem „eisernen“ Bismarck, gewidmet war.
Nach dem Studium der Backbücher aus 40 Jahren DDR kann man mit Erleichterung feststellen, daß sich die brave Bäckerzunft keinerlei Personenkult zuschulden kommen ließ und sich deshalb auch nicht, wie andere Berufsgruppen, unablässig Asche aufs Haupt streuen muß. Erika Schwarz
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