: Der Tod im Walde
Die Untersuchungen nach den Todesfällen im schwedischen Orientierungssport brachten eine Häufung von Herzanomalien ans Licht ■ Aus Stockholm Reinhard Wolff
Vorerst bis zum 15.Juni dürfen Schwedens Orientierungssportlerinnen und -sportler nicht durch Wälder und Auen hetzen – weder zu Trainings- noch zu Wettkampfzwecken. Dies beschloß der Orientierungssport-Verband des Landes. Auch die Teilnahme an internationalen Veranstaltungen, unter anderen den nächsten Weltmeisterschaften in den USA, wurde abgesagt. Hintergrund dieser wohl einmaligen Maßnahme für eine gesamte Sportart sind die ersten Ergebnisse einer systematischen Untersuchung von Orientierungssportlern, die Leistungssport betreiben. Bei 40 Prozent der bislang untersuchten 100 von 240 Personen waren krankhafte Veränderungen an den Herzmuskeln festgestellt worden.
Ausgelöst worden war die Untersuchungsreihe von der Kette mysteriöser Todesfälle, der innerhalb kurzer Zeit sieben und seit 1979 mindestens fünfzehn Orientierer zum Opfer gefallen waren. Bei allen war der Tod durch plötzliches Herzversagen eingetreten. Bei allen war auch der Mikroorganismus TWAR (Taiwan Acute Respiratory Infection) nachgewiesen worden, eine an sich harmlose Bakterie, die normalerweise nur Husten, Bronchitis, allenfalls Lungenentzündung hervorrufen kann. Bei den gestorbenen Orientierungssportlern steht TWAR aber in Verdacht, auch für die Herzmuskelschäden verantwortlich zu sein.
Noch tappen die Mediziner allerdings im dunkeln, da sich die schwedische Regierung nicht bereitfinden will, ein umfangreicheres Forschungsprogramm zu finanzieren. Stockholm hat gerade 40.000 DM bereitgestellt, durch private Sammlungen sind etwa 220.000 DM zusammengekommen. Damit können derzeit gerade die aufwendigen Untersuchungen bei einer Auswahl der 3.000 schwedischen Aktiven im Leistungsorientieren finanziert werden.
Mediziner weisen darauf hin, daß die Todeswelle – es waren bisher nur Männer unter 30 Jahren betroffen – nicht die einzige bislang ungeklärte Häufung von Todesfällen im Spitzensport sei. So sei 1982 an einem College in North Carolina eine mysteriöse Meningitis-Epidemie ausgebrochen, die ausschließlich Footballspieler erfaßte. Ähnliche Beobachtungen habe man in den siebziger Jahren an anderen US-Hochschulen gemacht. Eine schottische Untersuchung von Olympia-Teilnehmern, die kürzlich im New Scientist referiert wurde, hatte das merkwürdige Ergebnis, daß bei vielen Spitzenathleten Viren festgestellt wurden, ohne daß dadurch ein Leistungsverlust erlitten wurde. Ein Nichtsportler hätte sich mit einem solchen Virus im Körper vermutlich ins Bett gelegt. Bei den Spitzensportlerinnen und -sportlern seien aber Antistoffe festgestellt worden, die einen Krankheitsausbruch unterdrückten. Ein objektiv erkrankter Sportler könne daher Olympiasieger werden – oder ebensogut wegen dieses Virus' plötzlich tot umfallen, da durch das Leistungstraining Warnsignale im Körper ausgeschaltet würden.
Immunologen haben andererseits herausgefunden, daß im Spitzensport durch das harte Training die Fähigkeit des Körpers zur Immunabwehr stark herabgesetzt ist. Vor allem die je nach Sportart belasteten Körperteile, und hier vor allem die Muskelpartien, liegen gegen Viren-Angriffe fast offen. Diese Beobachtung würde eine Erklärung liefern, weshalb bei Orientierungssportlern Herzversagen auftrat. Es ist hier das Herz, das durch das Training besonders belastet wird. Nicht geklärt wäre dann aber immer noch, warum im Orientierungssport die auffällige Häufung von TWAR-Bakterien festgestellt wurde. Hier haben die Mediziner mittlerweile die Zecken im Verdacht. Nach dem Training im Wald am Körper eine Zecke zu entdecken, gehört bei den Orientierern fast zum Alltag. Und von Zecken ist bekannt, daß diese mit einem Biß eine Vielzahl von Mikroorganismen übertragen können.
Christer Johansson, Verbandsarzt der schwedischen Orientierer: „Wir hoffen, in einigen Monaten mehr zu wissen. Unsere Maßnahme, allen Wettbewerbsbetrieb zu stoppen, mag überzogen erscheinen, aber wir können einfach mit diesem Risiko nicht weitermachen. Wir haben nie und nimmer damit gerechnet, eine solche Häufung von Herzanomalien bei unseren Sportlern festzustellen.“
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