■ Dokumentation: Der Vance-Owen-Plan – keine Chance
: Den Muslimen ein Homeland

Die Mehrzahl der westlichen und einige osteuropäische Länder, die USA an ihrer Spitze, spielen gerade auf zum letzten Akt der jugoslawischen Tragödie. Es geht um die Tragfähigkeit des Vance- Owen-Plans zu Bosnien-Herzegowina. Ganz offen gesagt: Der Plan ist undurchführbar. Jeder mit Menschenverstand ausgestattete Zeitgenosse erkennt dies sofort. Die Bildung von zehn Kantonen in einer Gegend so komplex und explosiv wie die in Bosnien ist so, als würde man Alice-in-Wonderland- Diplomatie betreiben.

Die drei schuldigen Seiten (Serben, Kroaten und Muslime) sind derart in die kriegerischen Handlungen verstrickt, daß jeder Gedanke daran, diese Malaise mit süßen Appellen an die Vernunft zu lösen, kopflos wirkt. Alle drei spielen ihr je eigenes Spiel aus eigenen ethnischen-religiösen-politischen Gründen. Vance und Owen haben dies stillschweigend zugegeben und haben, als letzten Ausweg, das ganze Fiasko zurück an den UNO- Sicherheitsrat gegeben. Daraus wird nicht viel Gutes erwachsen. Was also tun?

Hier einige mögliche Antworten: Wir müssen uns jetzt entscheiden, ob wir den Vance-Owen-Plan annehmen oder vorbehaltlos und offen ablehnen. Die Briten, die Franzosen, die EG und die Russen unterstützen diesen Plan (alle aus den unterschiedlichsten Gründen). Deutschland hätte am liebsten nie von Bosnien gehört. Es hat genug in Kroatien und Slowenien angerichtet. Die Europäer wollen Aktionen in Bosnien verhindern; größere Schritte will man erst unternehmen, wenn US-Truppen dort sind. Die Russen wiederum, von einem nationalistischen Backlash gegen Jelzin getrieben, kommen ihrer Rolle als Beschützer der Serben wieder recht nahe.

Damit ist die Clinton-Administration in einer no win-Situation. Schon der Vance-Plan für Kroatien war ein Mißerfolg. Niemals wurden serbische Enklaven entwaffnet, und auch Flüchtlinge konnten nicht in ihre Heimat zurück. Sicherlich ist der Vance- Owen-Plan für Bosnien komplexer. Es gibt aber keine Gewähr dafür, daß die Serben ihn ohne massive ausländische Intervention auch anwenden.

Sollten die USA Vance-Owen unterstützen, werden Gewalt und verstärktes Leid die Folge sein. Die Europäer (und wahrscheinlich auch Vance) werden die Stationierung von US-Truppen fordern, damit der Plan greift. Falls sich US- Truppen engagieren, wird es Zwischenfälle geben, aber es wird nichts getan werden, um die eigentliche Quelle des Krieges (Milošević) anzugehen. Sollten die USA keine Truppen entsenden, werden sich Europäer und UNO- Truppen zurückziehen – und das sehr schnell. Die Hilfslieferungen, schon jetzt auf der Kippe, werden dann vor dem Kollaps stehen. Wenn aber UNPROFOR sich zurückzieht, wird auch die UNHCR- Mission für Flüchtlinge bald enden.

Die adriatische Offensive Tudjmans führt uns in eine Sackgasse. Sollte Tudjman weiter Gebietsgewinne machen, könnte die „jugoslawische“ Armee intervenieren und Kroatien mit voller Kraft angreifen, auch mit der Luftwaffe. UNPROFOR ist hilflos, was die Zügelung der Kroaten angeht als auch bei der Entwaffnung der Serben in den Schutzzonen. Tudjman hat somit wenig Grund aufzuhören. Er hat in Bosnien, was er erreichen will, und könnte einen „heimlichen“ Deal mit Milošević in der Tasche haben, der ihm freie Hand in der Krajina gibt als Tausch für Slawonien und einen Korridor zu dem, was er für den kroatischen Teil Bosnien-Herzegowinas hält.

Keine Option ist attraktiv, aber wir können das Risiko eines größeren balkanischen Krieges eindämmen:

– Zuerst sollten wir Mazedonien unter dem Namen der ehemaligen jugoslawischen Republik von Mazedonien anerkennen (und damit vielleicht die Griechen zufriedenstellen, wenn man dies denn je mit dem Begriff „Mazedonien“ überhaupt kann). Wir sollten sofort kleinere, aber zur Abschreckung taugliche Truppen in Zusammenarbeit mit der Nato stationieren. Das sollte Jelzin keine Sorgen bereiten.

– Als nächstes sollten wir Slowenien und Ungarn mit Nato-Truppen plus Luftstreitkräften verstärken.

– Drittens geben wir Bulgarien und Rumänien eine klare Zusage, im Falle einer serbischen militärischen Drohung zur Seite zu stehen. Im Gegenzug verlangen wir, daß die Sanktionen rigoros kontrolliert und angewandt werden.

– Viertens erkennen wir an, daß Bosnien-Herzegowina keine Lebensfähigkeit als internationaler Staat hat, und empfehlen eine Strategie, die im territorialen und bevölkerungspolitischen Austausch zwischen Kroatien und Serbien mündet. Dies klingt grausam, ist aber weniger brutal als das, was wir derzeit in Bosnien-Herzegowina erleben.

– Letztlich soll diese neue „Architektur“ ein verteidigungsfähiges Homeland für die Muslime schaffen. Dies wird Milošević und Tudjman unter Androhung eines möglichen Nato-Angriffs auferlegt.

Viele LeserInnen werden diese Lösung für geradezu amoralisch halten, im Widerspruch zu gültigen Standards der Menschenrechte, gegen die Lehrsätze internationalen Rechts. Das mag alles wahr sein. Doch das Blutbad muß enden, sonst droht uns die Gefahr eines noch größeren Krieges im ehemaligen Jugoslawien. Ein solcher Krieg würde in die Nachbarländer schwappen. Dann hätten wir einen „richtigen“ Krieg, noch dazu an einem Ort, wo dies keiner will, und mit internationalen Akteuren, die sich besser daraus heraushielten. David Anderson

Direktor des Aspen Institutes in Berlin, früherer US-amerikanischer Diplomat und von 1981–85 Botschafter in Jugoslawien

Übersetzung: AS