Italiens Sozialisten suchen Chef

Heute beginnt die Nationalversammlung der Sozialistischen Partei/ Craxi tritt nicht mehr an/ Nachfolge völlig offen/ Zerreißproben und Angst vor neuen Ermittlungsverfahren  ■ Aus Rom Werner Raith

Es ist schon eine schwere Belastung für Italiens Sozialistische Partei (PSI): während aus den verschiedensten Staatsanwaltschaften des Landes Nachrichten über immer mehr neue Ermittlungsverfahren gegen höchste Repräsentanten des Parteiensystems und ganz besonders der PSI einlaufen, tritt am heutigen Donnerstag in Rom die Nationalversammlung der Partei zusammen, um über eine grundlegende Neuorientierung zu entscheiden und einen neuen Sekretär, möglicherweise auch – als Neueinführung – einen Präsidenten zu wählen.

Der siebzehn Jahre unangefochten über die Partei herrschende bisherige Bettino Craxi, inzwischen Gegenstand von gleich drei Ermittlungsverfahren wegen Korruption, Erpressung und Verstoßes gegen das Parteifinanzierungsgesetz, tritt nicht mehr an. Aber er hat immer noch genügend Delegierte an seiner Seite, um die Wahl seines Nachfolgers zu beeinflussen oder gar zu blockieren. Verschiedene parteiinterne Gegenströmungen sind untereinander zerstritten und konnten sich bisher nicht auf einen konsensfähigen Kandidaten einigen.

Gelder bleiben aus, Verluste bei Wahlen

Die Partei lebt mittlerweile am Rande der Existenzgrundlagen: reihenweise müssen Sektionsbüros schließen, weil nach den Korruptionsenthüllungen kein Geld mehr einläuft, Mitglieder haben sich in Scharen davongemacht, und bei Wahlen verliert die vordem zweitstärkste Regierungspartei mittlerweile schon mehr als die Hälfte ihrer bisher landesweit durchschnittlich gut fünfzehn Prozent.

Doch sowohl die Neuorientierung wie die Neuwahl stellen sich als kaum lösbare Probleme dar. Italiens Bevölkerung, geplagt durch die heftigste Wirtschaftskrise seit Kriegsende, wünscht sich vor allem klare Richtlinien für eine ersprießliche Zukunft, Transparenz der Verwaltung und glaubwürdige Personen an der Spitze. Dafür am wenigsten geeignet scheint den meisten eine Partei, bei der vom letzten Gemeindedezernenten bis zu den Regierungsmitgliedern nahezu niemand ohne Korruptionsverdacht ist. „Als ich 1976, weil Craxi die Partei übernahm, in die PSI eintrat“, schrie ein Bürger vorige Woche in der Sendung Milano, Italia einen PSI-Oberen an, „habe ich gedacht, daß ihr wenigstens für eines bürgt: daß es nicht mehr so weitergeht wie vorher bei der korrupten Democrazia Cristiana. Und was habt ihr in diesen siebzehn Jahren gemacht? Dasselbe, und noch schlimmer.“

Affären über Affären in den Reihen der Kandidaten

Tatsächlich brauen sich Wolken nahezu unverzüglich über jedem zusammen, der Ansprüche auf den Chefsessel anmeldet. Mehrere Kandidaten, wie der Fraktionsvorsitzende La Ganga, sind bereits ausgeschieden, weil sie in Affären verwickelt sind. Der derzeitige Justizminister Claudio Martelli, einst Craxis rechte Hand und mittlerweile dessen stärkster Gegner, ist zwar bei einigen anderen Parteien wohlgelitten. Doch er hat derzeit gegen einen seit Jahren immer wieder aufgetauchten, soeben aber durch Einlassungen eines ehemaligen Spendeneintreibers bestätigten besonders bösen Verdacht anzukämpfen: zu Beginn der achtziger Jahre hat die kriminelle Geheimloge „Propaganda 2“ in der Schweiz ein Konto namens „Protezione“ zugunsten der PSI eröffnet – und Martelli soll, neben Craxi, einer der Zugangsberechtigten gewesen sein.

Das jedenfalls behaupten der ehemalige Logenmeister Licio Gelli und neuerdings auch der nominelle Kontoinhaber und PSI- Schmiergeldeintreiber Silvano Larini, der sich nach acht Monaten Flucht am Wochenende der italienischen Polizei gestellt und entsprechende Angaben gemacht hat. Mehr als sieben Millionen Dollar hat die Geheimloge über die später mit einem Milliarden-Dollar-Loch zusammengebrochene Banco Ambrosiano auf das Konto überwiesen. Zudem lastet auf Martelli noch immer die unbekümmerte Annahme mafioser Stimmen als sizilianischer Spitzenkandidat im Wahlkampf 1987.

So suchen die Königsmacher nun derzeit eher graue Mäuse, die bisher zu unbedeutend waren, um größere Schweinereien im Amt zu begehen. Der bisher aussichtsreichste Kandidat ist der blasse ehemalige Vorsitzende der sozialistennahen Gewerkschaft UIL, Giorgio Benvenuto. Er war zwar einige Zeit Arbeitsminister, aber nur so kurz, daß er keine Gelegenheit hatte, sich in das feingesponnene, aber bereits weitgehend verteilte Netz von tangenti (wie die Schmiergelder in Italien heißen) einzufädeln. Aber auch der ewig freundlich lächelnde Fraktionsverwalter Gino Giugni und einige andere Vertreter aus der zweiten Garde, wie der stellvertretende Vorsitzende der ehemaligen kommunistischen Gewerkschaft CGIL, Ottaviano Del Turco, werden gehandelt.

Regierungschef Amato hält sich bedeckt

Nur einer weigert sich konstant, bei den Spekulationen mitzumachen: Regierungschef Giuliano Amato, den Craxi gerne als seinen Nachfolger hätte (der wendige Verfassungsjurist war während der Zeit Craxis als Regierungschef dessen Kanzleramtsminister) und der bei einer Kandidatur wohl die größte Zustimmung unter den Delegierten erreichen und auch am ehesten den Wählerschwund stoppen könnte.

Doch Amato sitzt eine starke Faust im Nacken: Staatspräsident Scalfaro hat ihm unmißverständlich erklärt, daß er angesichts der schlimmen wirtschaftlichen und politischen Lage des Landes einen Vollzeit-Ministerpräsidenten braucht und nicht einen, der mehr Zeit in seinem Parteibüro verbringt als im Staatsamt. Sollte Amato doch noch umfallen und PSI-Chef werden, will Scalfaro ihm daher sein Vertrauen sofort entziehen.