Silberstreif am Sommerhorizont

■ In ihrem Jahreswirtschaftsbericht rechnet die Bundesregierung mit einem Ende der Rezession zur Jahresmitte / Sozialdemokraten fürchten, daß weitaus mehr als 450.000 Westdeutsche arbeitslos werden

Bonn/Berlin (dpa/taz) – Der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung für dieses Jahr rechnet mit Nullwachstum und 450.000 neuen Arbeitslosen in Westdeutschland. SPD und Gewerkschaften finden dieses Szenario noch viel zu optimistisch. Sie erwarten eine weit höhere Arbeitslosigkeit und eine tiefere Rezession als die CDU/CSU/FDP-Koalition. Entsprechend heftig kritisierten sie den gestern vom Bundeskabinett verabschiedeten Bericht.

Nach dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz von 1967 muß die Bundesregierung jedes Jahr im Januar einen Jahreswirtschaftsbericht vorlegen, der die von ihr angestrebten wirtschafts- und finanzpolitischen Ziele enthält. Wichtigster Teil sind die Zahlen über die erwartete wirtschaftliche Entwicklung, über das Wirtschaftswachstum, Investitionen, die Arbeitslosigkeit sowie die Preis- und Lohnentwicklung. Auf mehr als 100 Seiten gibt die Regierung auch einen Ausblick auf die Entwicklung der Weltwirtschaft und einen Rückblick auf ihre Prognosen des Vorjahres. Sie erarbeitet den Bericht auf Basis des Herbstgutachtens des Sachverständigenrates der Fünf Weisen.

Der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Wolfgang Roth, forderte ein Sondergutachten des Sachverständigenrates. Steuererhöhungen, auch einen neuen Solidaritätszuschlag, vor Mitte 1994 lehnte er als „Gift für die Konjunktur“ ab. Michael Geuenich vom Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) warf der Regierung vor, die Gefahren der Rezession zu vertuschen. Die Lage sei jetzt nur noch mit den Krisenjahren 1974/75 und 1981/82 vergleichbar.

Die Regierung geht in ihrem Bericht davon aus, daß die deutsche Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte wieder wachsen wird und der Produktionseinbruch in Westdeutschland deshalb für das Gesamtjahr nur höchstens ein Prozent betragen wird. Sie rechnet mit einer Zunahme der Arbeitslosigkeit in Westdeutschland um 450.000 auf gut 2,2 Millionen im Jahresdurchschnitt 1993. In den neuen Ländern werde sich die Arbeitslosigkeit nicht erhöhen, sondern bei 1,1 bis 1,2 Millionen im Jahresdurchschnitt verharren. Voraussetzung dafür seien ein Festhalten am „Föderalen Konsolidierungsprogramm“ und moderate Lohnerhöhungen. Die Regierung setzt auch auf die Privatisierung von Häfen und Flughäfen.

Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) räumte bei der Regierungsbefragung im Bundestag ein, daß man noch nicht wisse, wann der „zyklische Abschwung“ zu Ende gehen werde. Die Hauptaufgaben der Wirtschaftspolitik seien deshalb, „alle Kräfte darauf zu konzentrieren, die Rezession abzuwenden“, den Aufholprozeß in Ostdeutschland zu beschleunigen und die Zukunftschancen des Standorts Deutschland zu stärken. Es sei genug Arbeit da, es werde aber immer schwieriger, sie produktiv zu organisieren, sagte Rexrodt.

Die SPD kritisierte auch die Bundesbank. Die Leitzinssenkung der vorigen Woche sei viel zu gering gewesen und führe dazu, daß die Wirtschaft mit Investitionen noch auf weitere Senkungen warte, sagte Roth. Der „Trippelschritt“ der Bundesbank sei „Gift für die Konjunktur“ gewesen. Rexrodt nannte die Zinssenkung dagegen ein „richtiges Signal“.