Einen seiner Hüttenstandorte wird der neue Stahl- gigant Hoesch-Krupp auf jeden Fall dichtmachen. Eine endgültige Entscheidung soll erst Ende des Monats fallen. Nach einer Vielzahl von Schreckens- meldungen über die Stahlkrise schwankt die Stim- mung bei den Stahlkochern zwischen Resignation und Rebellion. Aus Dortmund Walter Jakobs

Der Kessel kocht wieder im Revier

Kurz nach sechs Uhr in der Früh wollte der Funken zunächst nicht überspringen. Erst als Bernd Schimmeyer, Betriebsrat der Dortmunder Hoesch-Westfalenhütte, gestern nach einer Stunde gegenüber den versammelten Vertrauensleuten ankündigte, der monatelange Arbeitskampf um das Krupp-Stahlwerk in Rheinhausen sei nur ein „Vorspiel“ gewesen „für das, was kommt, wenn es hier so weitergeht“, bebte die Halle zum ersten Mal. Nach einer Vielzahl von Schreckensmeldungen über die Krise der Stahlindustrie schwankt die Stimmung bei den Stahlkochern zwischen Resignation und Rebellion. Nicht nur bei Hoesch, wo gestern etwa 1.500 gewerkschaftliche Vertrauensleute über die Lage nach der Fusion mit Krupp diskutierten.

Schon in Kürze sollen die beiden formal noch getrennten Stahlgesellschaften des fusionierten Konzerns rückwirkend zum 1.Januar 1993 vereinigt werden. Welche Standorte am Ende überleben, bleibt weiter ungewiß. Hoesch- Stahl-Chef Hans Wilhelm Graßhoff ließ die Katze auch gestern nicht aus dem Sack. Der neue Mammutkonzern Hoesch-Krupp verfügt an seinen drei Hüttenstandorten (Duisburg-Huckingen, Rheinhausen und Dortmund) über eine monatliche Rohstahlproduktionskapazität von insgesamt 700.000 Tonnen. Mittelfristig rechnet man laut Graßhoff jedoch nur mit einem Absatz von 550.000 bis 570.000 Tonnen. Abwechselnd sollen bis zum Ende des Jahres zunächst in Dortmund und danach in Rheinhausen die entsprechenden Kapazitäten „vorübergehend“ stillgelegt werden.

Daß ein Standort des Konzerns, der „blutrote Zahlen“ schreibt, am Ende ganz dichtgemacht wird, deutete Graßhoff gestern erstmals öffentlich an. Da die Werke in Duisburg-Huckingen konkurrenzlos günstig produzieren, trifft es entweder Dortmund oder Rheinhausen. Ende des Monats soll die Entscheidung fallen.

Die Stahlarbeiter sehen darin eine Verzögerungstaktik zur Ruhigstellung der Belegschaften von Hoesch und Krupp. Man müsse jetzt den Managern und Politikern „Feuer untern Arsch machen“ und „in die Pötte kommen, denn sonst saufen wir gemeinsam ab“, rief Hoesch-Betriebsrat Norbert Bömer seinen Kollegen zu. Die Betriebsräte und Vertrauensleute beider Unternehmen fordern, die notwendigen Anpassungen nach dem Prinzip der „Opfergleichheit“ so vorzunehmen, daß alle Standorte erhalten bleiben. Die europäische Kommission müsse jetzt nach Artikel 58 des Montanvertrages die „manifeste Krise“ ausrufen, um über behördliche Mengen- und Preisfestsetzungen die Lasten im Stahlsektor europaweit gleichmäßig zu verteilen. Am Dienstag wird sich die nationale Stahlarbeiterkonferenz der IG Metall dieser Forderung wohl anschließen. Wenn sich nicht bald was rühre, so der Hoesch-Betriebsratsvorsitzende Werner Naß, „werden wir nach Bonn und Brüssel marschieren“. Den Marsch nach Brüssel hatten die gewerkschaftlichen Vertreter des Thyssen-Konzerns, der rund 9.000 Arbeitsplätze im Stahlbereich abbauen will, schon am Dienstag gefordert.

Bisher sieht es nicht so aus, als wollte die EG-Kommission diesem Ansinnen folgen und nach dem Muster der letzen großen Stahlkrise noch einmal Produktionsquoten und -preise festlegen. Selbst das eine Interventionsstufe tiefer angesiedelte „Strukturbereinigungskartell“ nach Artikel 65 des Montanvertrages soll es nach Auffassung der Kommission nicht geben. Auf ein „Strukturbereinigungskartell“ hatten zunächst die Stahlunternehmer selbst gesetzt – an erster Stelle die deutschen. Die EG-Kommission, so die Forderung von deutscher Seite, müsse es den europäischen Stahlgesellschaften erlauben, in Kooperationsabkommen die Stillegung von Kapazitäten zu vereinbaren. Vom Markt ausscheidende Unternehmen sollten dafür unter anderem von den überlebenden Stahlgesellschaften finanziell entschädigt werden. Faktisch würden die Gewinner einen Preis für die „freiwillig“ stillgelegte Kapazität aller Fußkranken der Branche zahlen.

Doch selbst ein solches „Bereinigungskartell“ geht der EG-Kommission offenbar zu weit. Nach den widersprüchlichen Informationen aus Brüssel wurden bei dem am Montag mit den europäischen Stahlindustriellen geführten Gespräch sämtliche Absprachen zwischen den Stahlkochern abgelehnt. Die EG-Kommission will den Kapazitätsabbau scheinbar ausschließlich dem Markt überlassen und lediglich sozialpolitisch flankieren. Aus EG-Mitteln soll dafür in den nächsten drei Jahren für Sozialpläne und Umschulungen rund eine Milliarde Mark zur Verfügung gestellt werden. Europaweit stehen 50.000 Stahlarbeitsplätze zur Disposition. Die europäischen Stahlindustriellen sollen am Montag gegenüber der Kommission die Stillegung von 25,8 Millionen Jahrestonnen bei Rohstahl und weitere 17,9 Millionen Jahrestonnen bei Warmwalzerzeugnissen in Aussicht gestellt haben.

Für die westdeutschen Stahlkocher drohen jetzt Entlassungen, denn der neuerliche Kapazitätsabbau wird möglicherweise zum ersten Mal seit der Nachkriegszeit nicht mehr über Sozialpläne abzuwickeln sein. Die bisherigen Sozialpläne erlaubten es älteren Arbeitnehmern, schon mit 55 Jahren aus dem Betrieb auszuscheiden, wobei ihnen bis zur Erreichung des Rentenalters je nach Betriebsvereinbarung rund 90 Prozent des Nettolohnes garantiert wurden. Jetzt steht diese Sonderregelung, die es sonst nur noch im Bergbau gibt, zur Disposition, denn es gibt kaum noch ältere Stahlkocher in den Betrieben. Wer der Knochenmühle über Sozialplan entkommen konnte, ließ sich während der zurückliegenden Krisenjahre in der Regel nicht zweimal bitten...