Klaus Croissant – ein Spitzel als Märtyrer

■ Prozeßbeginn gegen den ehemaligen RAF-Anwalt wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit für die DDR/ Croissant präsentiert sich als Überzeugungstäter

Berlin (taz) – „Ich habe aus Überzeugung gehandelt, und dazu stehe ich“, lautet der Tenor, mit dem sich der frühere RAF-Anwalt Klaus Croissant gestern vor dem Berliner Kammergericht gegen den Vorwurf geheimdienstlicher Agententätigkeit für die DDR- Staatssicherheit verteidigt hat. Sein „Eintreten für die DDR“ und seine „Gespräche mit dem MfS“ seien eine bewußte Entscheidung gewesen, die sich konsequent aus seiner politischen Biographie herleite. Er habe niemals Weisungen von der Staatssicherheit erhalten. Vielmehr habe er den Kontakten auf dem „Prinzip vollständiger Freiwilligkeit sowie der Übereinstimmung in wesentlichen politischen Fragen“ zugestimmt. Das gelte auch für seine verstorbene Lebenspartnerin Brigitte Heinrich.

In einer vierstündigen Verteidigungsrede zu Beginn des Prozesses, in der Croissant noch einmal alle linken Mythen der vergangenen zwanzig Jahre – vom Stammheimer Mordverdacht bis zum konsequenten Antifaschismus der DDR – Revue passieren ließ, charakterisierte sich Croissant als einen Menschen, „der stets mit offenem Visier gekämpft“ habe. Allein schon deshalb sei der Vorwurf der Bundesanwaltschaft, er habe die linke Szene ausspioniert, absurd.

Das sieht die Bundesanwaltschaft in ihrer Anklageschrift ganz anders. Croissant habe sich zwischen Januar 1981 und Ende 1989 unter dem Decknamen „Taler“ der geheimdienstlichen Tätigkeit zugunsten einer fremden Macht schuldig gemacht. Zwischen 1982 und '87 habe er gemeinsam mit Brigitte Heinrich, Deckname Brigitte Schäfer, für das MfS spioniert. Verschärfend komme hinzu, daß er selbst die grüne Europa-Parlamentarierin dem MfS „zugeführt“ und nach Anbahnung des Kontaktes als ihr „Kurier und Instrukteur“ fungiert habe.

Croissant soll in dieser Zeit „interne Informationen und Einschätzungen zu Personen und Entwicklungen innerhalb des linken Spektrums“ geliefert haben. Auch die Kandidatur Brigitte Heinrichs für das Europa-Parlament sei erst nach „Rücksprache mit Croissant und dem MfS“ erfolgt. Croissant habe über politische Aktivitäten der Grünen sowie Personalia der Regenbogenfraktion berichtet. Einmal pro Monat sei er mit Material und Berichten nach Berlin gefahren. An ausführlicheren Führungstreffs habe Croissant einmal jährlich teilgenommen. Dafür, daß Croissant die Staatssicherheit über das linke Spektrum „umfassend ins Bild gesetzt“ habe, wurde der linksradikale Anwalt vom MfS nicht nur mit den Noten 2 und 3 bedacht, sondern erhielt auch, so die Anklage, insgesamt 71.000 D-Mark Agentenlohn sowie Sachleistungen im Wert von 41.000 Mark.

Croissants Verteidigung, in der er in aller Ausführlichkeit sein politisches Engagement – von der Verteidigung der RAF-Häftlinge bis zu den letzten Rettungsversuchen der untergehenden DDR – darstellte, lief auf „Überzeugungstäterschaft“. Die „Tat“ selbst jedoch löste sich im Verlauf der Rede auf, weil es für Croissant zwischen SED und MfS keine wirkliche Scheidelinie gegeben hat. Im übrigen sei der Erkenntniswert seiner Gespräche für das MfS schon deshalb „relativ gering“ gewesen, weil die überbrachten Informationen und Materialien ohnehin alle öffentlich zugänglich gewesen seien. Niemals habe er Geld für seine Dienste erhalten. Nur hin und wieder ein Geburtstagsgeschenk sowie Ausgleich seiner Aufwendungen. Seine Kontakte – bis zum Schluß habe er nur geahnt, daß es sich um Stasi-Mitarbeiter gehandelt habe – seien „freundschaftlich und von gegenseitigem Vertrauen geprägt“ gewesen.

Personenprofile oder gar diffamierende Berichte über Exponenten der links-alternativen Szene habe er niemals gegeben, sagte Croissant. Auf Verratsvorwürfe, das ist sein wunder Punkt, reagierte er allergisch.

Mit sanfter Stimme wertete Klaus Croissant die Anklage durch die Bundesanwaltschaft sowie die Fortdauer der Untersuchungshaft wegen Fluchtgefahr als Ausdruck justitiellen Rachebedürfnisses. Die Entscheidung, ihn nach 1975, 76 und 77 nun „ein viertes Mal ins Gefängnis werfen zu lassen“ habe „mit Recht nichts, mit Politik alles zu tun“.

Croissant versuchte weit ausholend nachzuweisen, daß seine MfS- Kontakte nur als Vorwand benutzt würden, um „alte Rechnungen“ – gemeint ist seine scharfe Kritik an Bundesanwaltschaft und Bundesgerichtshof wegen der Haftbedingungen der RAF-Gefangenen – zu begleichen. Und dann volles Pathos: „Es gibt Demütigungen, die vergessen die Herrschenden nicht, sie warten, bis ihre Stunde gekommen ist, sie warten auf Revanche. Rache ist ein Gericht, das man kalt genießt.“

Nebenbei solle mit dem Prozeß nicht nur die Verbindung von RAF, Stasi und DDR noch einmal „ideologisch ins Spiel gebracht werden“, sondern zugleich das Gedenken an Brigitte Heinrichs „rückhaltlosen Einsatz für die Verdammten dieser Erde“ zerstört werden.