: Ein Zwerg mischt sich ein
■ Die Erneuerer der winzigen Eisenbahnergewerkschaft zeigen Selbstbewußtsein / Hamburgs Gewerkschaften im Wandel, Teil 4
zeigen
Selbstbewußtsein / Hamburgs Gewerkschaften im Wandel, Teil 4
Wenn im Bahnhof Barmbek ein U-Bahn-Chef einen S-Bahn-Lokführer grüßt, spielt schon manchmal ein mitleidiges Lächeln um die Züge des U-Bahners: Ist das nicht der Kollege von der schmuddeligen Bahn, die nicht einmal ihre Züge sauber halten kann? Na, so denkt er, wartet nur, bis wir euch übernehmen! Wenn Hamburg die S-Bahn von der Deutschen Bundesbahn kauft, dann kommt endlich Ordnung in den Laden!
Wenn im DGB-Haus am Besenbinderhof die Hamburger Gewerkschaftsfürsten ihre internen Meetings haben, kann es gar nicht vorkommen, daß der Gewerkschaftsboß des U-Bahners, ÖTV-Bezirkschef Rolf Fritsch, mitleidig über Peter Kuczora, zuständig für die S-Bahner, lächelt. Kuczora, Bezirkschef der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (GdED), ist nämlich gar nicht mit von der Partie. Dabei könnten sich die 25000 GdEDler zwischen Lüneburg und Flensburg durchaus neben den 72000 Hamburger ÖTVlern sehen lassen. Gehört nicht eigentlich der Bahn die Zukunft? Ist sie nicht das Verkehrsmittel, von dem alle schwärmen, vom Autobahnbauer Günther Krause bis zum Transrapid-Fan Henning Voscherau?
„Es ist ein Problem, registriert zu werden“, räumt Kuczoras Vorgänger Norbert Hansen ein, der übrigens im vergangenen November in den GdED-Hauptvorstand aufrückte und als einer der beiden Kronprinzen des GdED-Bundeschefs Rudolf Schäfer gilt.
Das Underdog-Gefühl der Eisenbahner hat vielfältige Ursachen. Da ist zum einen die dunkle Vergangenheit: Als ehemals wichtigster ziviler Teil der deutschen Wehrmacht stand die Bahn lange unter der Fuchtel preußischer Militärs, erstarrt in Obrigkeits- und Bürokratendenken. Sie exekutierte brav die Ausrottungstransporte von Juden und Zigeunern. Da ist zum anderen die jüngste Vergangenheit: Durch radikale Vernachlässigung und die bösartige Zuordnung von Finanzlasten galt das Verkehrsrückgrat der BRD bis vor kurzem als sterbenskranker Pleitegeier. Schlechte Bezahlung und drastischer Personalabbau taten ein übriges. Die Wirtschaftswunderjahre, in denen andere Gewerkschaftsführer die Spendierhosen anziehen durften, gingen an den braven Bahnern spurlos vorüber. Hansen: „Bei uns wurde 40 Jahre lang immer nur rationalisiert.“ Mit dem Rücken zur Wand gegen Bahnvorstand, Finanzminister und öffentliche Meinung zu kämpfen — ein bitterer Alltag. Und jetzt auch noch die düstere Zukunftsdebatte: Privatisierung, Zerschlagung der Bahn in Nah- und Fernverkehrsgesellschaften, Waigels Drohung, der Nahverkehrsbahn den Geldhahn endgültig abzudrehen — auf zum vorletzten Gefecht?
Seit einigen Jahren ist allerdings Bewegung in die Betriebsgewerkschaft gekommen. Da halten plötzlich einige jüngere Eisenbahner die Nase in den Wind des Zeitgeistes und fragen sich, was wohl wäre, wenn man das Gerede von der großen Zukunft der Bahn ernstnehmen würde. Und da sind einige High- Tech-Freaks, zum Beispiel in der futuristischen Hamburger ICE-Reparaturwerft in Eidelstedt, die sich als technische Avantgarde im Verkehrsmittelmarkt fühlen. Einer wie Norbert Hansen versteigt sich sogar zu einem völlig neuen Selbstverständnis der GdED: „Wir brauchen das Selbstbewußtsein einer Verkehrsgewerkschaft. Wir müssen uns gesellschaftspolitisch dem Verkehr widmen.“ Und handelt danach: Seit er 1990 an die Spitze der norddeutschen GdED trat, mischte sich die Bahngewerkschaft plötzlich aktiv in die Verkehrspolitik ein. Kampf gegen den „Gummiverkehr“ (Laster), gegen die 4. Elbtunnelröhre und, als einziger GdED-Bezirk gegen den Transrapid. Einer wie Hansen begreift die anstehende Bahnreform als Herausforderung. Er will die Eisenbahner von der Schienen- und Schwellenbesessenheit lösen, sie als kompetente Dienstleister des zukunftsreichsten Verkehrssystems in eine selbstbewußte Auseinandersetzung mit
1Straßengroßprojekten führen.
Sorgen macht er sich um den verkrusteten Zustand der überalterten Betriebsgewerkschaft. So gehörte er zu jenen, die der GdED einen Check durch eine Unternehmensberatungsfirma zumuteten. Die Ergebnisse, im November 1992 intern publik geworden, waren erschreckend: Mangelnde Qualifikation, geringe Öffentlichkeitswirksamkeit, unzureichende Serviceleistungen für die eigenen Mitglieder. Hansen hatte schon vorher gehandelt: So führte die GdED im Norden eine „Hot-Line“ an, per Anrufbeantworter rund um die Uhr er-
1reichbar und mit einer 24-Stunden- Garantie ausgestattet: Länger, so wird versprochen, muß kein Anrufer auf eine Antwort warten. Die Anrufe selbst werden genau ausgewertet und zur Verbesserung der Gewerkschaftsarbeit genutzt. Auch publikumswirksame Gags setzt Hansen gezielt ein. Anfang November schoben 10 Eisenbahner, 5 Wessis, 5 Ossis, in der Sendung „Wetten daß?“ 5 Waggons im Wettlauf gegen eine 30000-PS-Lok in Maschen über 25 Meter — und gewannen natürlich. Ein ausgefuchster Coup breitenwirksamer Imagewerbung für eine menschliche und
1kraftvolle Bahn.
„Wenn jetzt noch U-Bahnführer und S-Bahnchef begreifen würden, daß sie von der BürgerIn als Dienstleister ein- und derselben Sparte gesehen würden, wenn es in Zukunft keine Rolle spielen würde, ob mehr Stadtbahn kommt (Mitglieder bei der ÖTV) oder mehr City-Bahn (Einzugsbereich der GdED), wenn ÖTV-Chef und GdED-Chef sich so nahe kämen, daß neben einem mitleidigen Lächeln sogar noch eine Verabredung über konzertierte und zukunftsorientierte verkehrspolitische Aktionen stattfände!? Florian Marten
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen