Ein Stinkeradius von 500 Metern

■ Kompostwerk? Kleingärten? Oder vielleicht doch Wohnungsbau? Am Bergedorfer Brookdeich ist ein beispielhafter Interessenkonflikt zu studieren - und ein Wahlkampfthema für 1995 dazu

ist

ein beispielhafter Interessenkonflikt zu studieren

— und ein Wahlkampfthema für 1995 dazu

Ein 100 Hektar großes Kleingartengelände am Bergedorfer Brookdeich scheint zum Paradebeispiel eines Hamburger Interessenkonflikts der 90er Jahre zu werden: Umweltschutz, Grünflächen, Müllentsorgung contra Wohnungsbau. Und mittendrin die Kleingärtner. 450 Lauben stehen in Bergedorf zwischen den Interessen von Umweltbehörde und Stadtreinigung auf der einen und Stadtentwicklungsbehörde auf der anderen Seite.

Der Konflikt mit den Bergedorfer Kleingärtnern ist der erste, den sich Stadtentwicklungssenatorin Traute Müller mit ihrem neuen Wohnungsbau-Sofortprogramm aufgehalst hat. Am westlichen Ende des dreieckigen Gebietes zwischen Brookdeich, AKN und Marschenautobahn, zur Zeit von den Kleingärtnern, der HEW mit einer Umspannstation und dem Bus-Betriebshof der VHH genutzt, sollte eines von vier Hamburger Kompostwerken gebaut werden. 1994 sollte es nach den Beschlüssen der Umweltbehörde und des Senats am Curslacker Deich stehen, damit die Bergedorfer per grüner Tonne ihren Bio-Abfall entsorgen können.

Doch die Stadtregierung wird Mitte Februar über die Fläche neu entscheiden. Denn eine Prüfung möglicher Baugrundstücke in Hamburg, die die Stadtentwicklungsbehörde im vergangenen Jahr begonnen hatte, ergab: Das Gebiet eignet sich zum Bau von 2000 Wohnungen. „Die Fläche ist groß und gut für Wohnungen“, sagt Oberbaudirektor Egbert Kossak, „leicht zu erschließen, nah am Bergedorfer Zentrum, der S-Bahn und den Schulen.“ Und deshalb sollen Kleingärten samt Kompostwerk weichen. Wohnen sei nun einmal ein Grundbedürfnis. Auf Kleingärten könne daher keine Rücksicht genommen werden. Und das Kompostwerk könne nicht in unmittelbarer Nähe der Wohnungen gebaut werden, weil „sowas einen Stinkeradius von 500 Metern“ habe.

Auch die Bergedorfer Bezirksamtsleiterin Christine Steinert will die Wohnungen statt Öko-Idylle am Curslacker Neuen Deich: „Dort ist ausreichend Platz für Wohnungsbau. Für das Kompostwerk muß ein anderer Standort in Bergedorf gefunden werden.“ Wo, das werde man prüfen.

In der Umweltbehörde hält man sich noch bedeckt. Pressesprecherin Silvia Schwägerl: „Wir können nur abwarten, wie der Senat über die Fläche entscheidet. Fest steht, daß die Bergedorfer auf ihre grünen Tonnen lange warten müssen, wenn das Werk nicht wie geplant gebaut wird.“

Den Bau der Entsorgungsanlage hält auch Hans-Joachim Fläschner, in der Stadtreinigung mit der Pla-

1nung des Werkes beschäftigt, für dringend notwendig: „Sicher sind Wohnungen wichtig. Aber eine Großstadt muß auch ihren Müll entsorgen.“

Gewohnt kämpferisch trotz großer Gegner sind die Bergedorfer Kleingärtner. Mit dem Kompostwerk könnten sie in Ruhe weiterschreben, mit dem Wohnungsbau aber müßten sie sich ein anderes Plätzchen suchen. Doch das wollen sie nicht: „Viele von uns mußten schon oft städtischem Flächenbedarf weichen“, sagt Kleingärtner Horst Fehrmann, „Ausweichflächen für die Wohnungen werden vom Bezirksamt gar nicht in Erwägung gezogen.“ Die 450 Laubenpieper haben sich zu dem Verein „Bergedorfer Freizeit- und Hobby-Gärtner“ zusammengeschlossen. Und der droht: „Kleingartenvernichtung wird Wahlkampfthema '95.“ Katrin Wienefeld