■ Kinobetroffene etc.
: Besinnungsaufsatz

Auf dem Flug von Köln nach Berlin. Zeit zu lesen. Die Kollegen, die schon vor der Eröffnung der Berlinale einen Artikel ins Blatt heben müssen, sind nicht zu beneiden. Was sollen sie schreiben, solange die Leinwand noch weiß ist? Besinnungsaufsätze von Kinobetroffenen.

Den schönsten Vorsatz hat die Süddeutsche gefaßt: „Nun aber hinweg, ihr bösen Gedanken. Hinweg mit den Bazillen der deutschen Krankheit! Mit gutem Beispiel wollen wir vorangehen. Wollen die Berlinale nicht schon zu Grabe tragen, bevor sie überhaupt begonnen hat.“ Um dann doch wieder – wahrscheinlich hat die Redakteurin den deutschen Virus nicht gänzlich ausgeschwitzt – über mangelnde Souveränität der Festivalleitung und den biederen Stil des Festivalplakats zu meckern. Wo bleibt das Positive?

Wider Erwarten im Neuen Deutschland, von dessen Existenz man inzwischen nur noch weiß, weil es auf dem Festival kostenlos verteilt wird. Voller Inbrunst legt sich der Kolumnist des ND ins Zeug, gerade so, als seien die Filmfestspiele eigentlich eine Erfindung der ehemaligen DDR gewesen: „Wenn auch die Defa in Zukunft als Produzent nicht mehr präsent sein wird – sie war hier ein geachteter Gast und hatte über lange Jahre einige 'Bären‘ nach Babelsberg entführt – so steht doch einer ihrer besten Regisseure an vorderster Stelle. Frank Beyer ist der diesjährige Jurypräsident.“ Ja, da kann man dem ND nur gratulieren zur Erfüllung des Plansolls im fröhlichen Schulterklopfen.

Auch einen Bären aufbinden will uns die Frankfurter Rundschau. Ihr Korrespondent beklagt sich darüber, daß Moritz de Hadeln zu wenig Wettbewerbsbeiträge aus den USA eingeladen hat. Nicht doch, liebe FR, ein wenig Konsequenz in der Kritik wäre vielleicht angemessen. Man kann doch nicht in einem Jahr über die Invasion von „Star Trek“-Mutanten aus dem All der Majors jammern und in diesem dann über den „Europroporz“ herfallen. Oder doch?

Immerhin ist dem FR-Schreiber auch noch aufgefallen, daß es im „Panorama“ den Kurzfilm „Kleiner Furz“ zu sehen gibt. Eine Entdeckung, die Folgen haben könnte. Das wäre die erste kleine Sensation: Der immer wieder gern gescholtene de Hadeln stolpert über Duftmarken im Programm. Aber worüber sollen wir auch schreiben – Jahr für Jahr derselbe Trott.

Und doch gibt es immer wieder Neues zu entdecken. Zum Beispiel das Klima: „Der größte Teil der Berlinale liegt im Bereich einer Hochdruckzone. Der Übergang zwischen Gebieten von heißer Luft und kalten Schultern kann abrupt erfolgen, was zur Bildung von Wortergüssen, Buffetverwüstungen, schaurigen Kritiken, selten zu Geistesblitzen und donnerndem Applaus und dergl. führt.“ Wie recht der Tagesspiegel doch hat mit seinem kleinen Brevier „Berlinale for Beginners“! Für all diejenigen, die neu anfangen oder weitermachen, damit die Papierflut nicht abreißen möge.

Denn das wäre der Alptraum: eine Berlinale ganz ohne Journalisten. Dann müßte man sich ja die Filme ansehen. Eine schreckliche Vorstellung. Christoph Boy