■ Gastkommentar
: Rohrkrepierer Vignette

Günther Krause, unser Betonierungspapst, entdeckt plötzlich, daß die Bundesrepublik den Verkehrstod stirbt, weil unter anderem auch 3,5 Millionen Russen pro Jahr durch Deutschland nach Frankreich fahren wollen. Um das zu verhindern, will er von allen autofahrenden Bundesbürgern 300 Mark abkassieren – auch auf den Stadtautobahnen.

Die Reaktionen erfolgten prompt: Der Berliner auf der Straße ist dagegen, aber auch der Berliner im Rathaus, unser Diepgen, stellt sich gegen seinen Parteikollegen Krause. Typisch, daß Berlin hier wieder einmal seine Sonderrolle entdeckt. Auch in anderen Städten gibt es Stadtautobahnen, aber hier wird am lautesten geschrien – und eigentlich wieder einmal unreflektiert. Denn die Idee, das Autofahren teurer zu machen, ist so falsch nicht. Nur ist die Stelle, an der das geschehen soll, falsch – falscher geht es gar nicht. Der Verkehrstod findet ja nicht auf der Autobahn statt, sondern in den Städten und, davon abgeleitet, in der Landschaft. Die Vignette wird daran gar nichts ändern, denn wenn jemand diese 300 Mark bezahlt hat, wird er nicht weniger, sondern mehr fahren. Sie ist als Pauschale erstens viel zu niedrig, zweitens trifft sie die Falschen. Die Armen fahren sowieso wenig Auto, und die Mittelreichen werden sich von läppischen 300 Mark nicht beeindrucken lassen. Darüber hinaus ist das, was an Stadtautobahn in Berlin in diesem Sinne entlastet werden könnte, gar nicht umfangreich genug, um einen spürbaren Effekt zu erreichen. Allerdings würde man den Effekt erzielen, daß viele recht schnell und für eine gewisse Zeit weg von der Stadtautobahn auf die Hauptstraßen ausweichen würden. Das wiederum bedeutet, daß auf den Stadtautobahnen gewisse Kapazitäten freiwerden würden, die die Betuchteren anreizen würden, noch mehr zu fahren.

Die Vignette würde in der vorgeschlagenen Form also genau das Gegenteil von dem erreichen, was sie erreichen sollte – falls man dem Bundesverkehrsminister überhaupt vernünftige verkehrsplanerische Gedanken zutrauen kann. Eine freiere Fahrt schafft Anreize, viel mehr zu fahren – ähnlich wie beim Katalysator. Langfristig bleibt als Lösung eigentlich nur die Erhöhung der Mineralölsteuer und – noch viel entscheidender – die Abkassierung beim ruhenden Verkehr. Statt einer Vignette für 300 Mark sollte man eine Parkgebühr von 600 Mark pro Standfläche auf dem öffentlichen Straßenland erheben und dieses Geld dem öffentlichen Nahverkehr zukommen lassen. Die BVG hat bei dieser Vignette keinen Pfennig und keinen Kunden mehr in ihrer Bahn. Der Autofahrer wird diese Gebühr murrend bezahlen und glauben, er müsse die 300 Mark tatsächlich abfahren. Unser Sause-Krause hat also nichts verstanden und weiß nicht, was Verkehrspolitik ist. Aber er hat sich vielleicht an seinem Kollegen Kohl orientiert, dem großen Aussitzer. Hier werden Probleme ausgesessen, statt zu echten Lösungen zu kommen. Hans-Joachim Rieseberg

Dipl.-Ing. H.-J. Rieseberg ist Autor diverser Bücher über Stadt- und Verkehrsplanung