: Das Schleierhafte der Liebe
■ Peter Brooks „Impressionen von Pelléas“ in Hamburg
Fast drei Monate nach der Premiere in Peter Brooks eigenem „Theatre des Bouffes du Nord“ in Paris fand im Hamburger Schauspielhaus jetzt die deutsche Premiere seiner Umarbeitung der Debussy/Maeterlinck-Oper „Pelléas und Mélisande“ statt. Dazu mußte in einer aufwendigen Aktion das gesamte Parkett in Europas größtem Sprechtheater überbaut werden, damit der Saal den Vorstellungen des Erfinders des leeren Raumes entsprach. So entstand eine Orchestra plan zur Bühne und eine nahezu intime Atmosphäre, wo in alter Brook-Manier die Zuschauer aus den ersten Reihen auf der Bühne plaziert sind und weder Rampe noch Orchestergraben eine Barriere zwischen Publikum und Akteuren bilden.
Wie zuletzt für „Carmen“ wurde auch für die „Impressionen von Pelléas“, so der Titel der Neufassung, eine stark gekürzte Klavierfassung für zwei Klaviere erstellt, um, so Brook, „die Konzentration auf das pure Gefühl der Stimmen zu lenken“. Um die beiden Flügel, die auf der mit blutrotem Samt ausgeschlagenen Bühne stehen, gruppiert Brook die Szenen des tödlich endenden Eifersuchtsdramas, wie auf dem Foto einer großbürgerlichen Familie des 19. Jahrhunderts. Alles wirkt gediegen, warm und schützend.
Die Bühne ist mit Teppichen ausgelegt, einige bequeme Sessel, zwei Vasen und ein Goldfischglas genügen, um hermetische Häuslichkeit auszustrahlen, jene familiäre feste Umarmung, die ebenso mit Alpdruck wie mit Geborgenheit übersetzt werden kann. Die mittelalterliche, märchenhafte Folie, auf der Maeterlinck sein Drama inszenierte, findet so eine Aktualisierung, die die Welt Debussys und Maeterlincks einfängt.
Auch bei der Erzählung bedient sich Brook eines verhaltenen Stils. Der Wahnsinn tritt still und unprätentiös ein. Das Familienleben gestaltet sich selbst nach dem Brudermord und dem Tod der Fremden in Sittlichkeit und Anstand. Von Anfang an zerstört Brook den Pathos des symbolistischen Dramas durch leise Zärtlichkeit, und unter den breiten Flügeln der Güte verschwindet aller Opernkitsch.
Den Sängern gelingt es, das Feinstoffliche eines Charakters zu transportieren und zudem, befreit von der orchestralen Präsenz, Nuancen in ihren Partien zu finden und auszuformen, die in einer voll orchestrierten Fassung vom Apparat niedergebügelt werden. Insbesondere Vincent Le Texier durchwirkt die Baritonpartie des von kranker Eifersucht zerfressenen Golauds mit einem Maß alltäglicher Tonsprache, die die affektive Musikalität Debussys bereichert. Dennoch überschreitet er in dieser impulsivsten aller Rollen nie die Grenze zur Leidenschaft.
Trotz aller Passion erlaubt Brook keinen Übergang in die Fallen der Effekthascherei. Dies zeigt sich bei der unheimlichen Fremden Mélisande (Jungwon Park). So unerklärt wie sie Golaud, der sie im Wald an einer Quelle findet, folgt, so unerklärt lebt und stirbt sie. Selbst ihre Liebe zu Pelléas (Jean-Francois Lapointe), einem weltfernen Melancholiker im Dandydress, die zum Affektmord führt, bleibt in all ihrer Reinheit unergründlich und bloß von Vergangenheit oder Schuldgefühl. Auf ihren gewalttätigen Mann Golaud, scheint sie nicht reagieren zu können. Sie schweigt, duldet und liebt, aber widerspricht nie, als fehle ihr die Schattenseite der Seele, die Neid und Zerstörung bloßlegen könnten.
Hier zeigt sich Brooks unbedingter Wille, etwas Wahres an die Oberfläche zu holen, und sein Umgang mit diesem Wahren, das natürlich die Liebe ist, isoliert den Kern, nämlich das Schleierhafte der Liebe. Brooks Arbeit atmet diese Liebe, sie erklärt sie nie. Nachdem Golaud Pelléas erstochen hat, will er von Mélisande nur noch „Die Wahrheit? Die Wahrheit?“. Doch Mélisande kann diese Frage nach der Weltformel nicht beantworten, weil sie nicht versteht, was sie mit der Liebe zu tun hat und wiederholt nur die Frage: „Die Wahrheit..., die Wahrheit...“ Dies ist die Wahrheit der Musik, des Spiels und Brooks Botschaft, die den Zwang aufzulösen hofft.
Seine Arbeit mit dem „nackten Schauspieler“, der in diesem Fall eben auch ein Opernsänger sein kann, beweist, daß Musiktheater nicht formelhaft und überheblich sein muß. Seine Suche nach dem Guten läßt ihn das Auge nie vom Menschen abwenden, und so werden seine Geständnisse kein Schmuckwerk, sondern zu geistvollem Licht, das jeden seiner Akteure individuell durchdringt. Und daß dies, was hier so pathetisch klingt, eben ganz unerhaben vor sich geht, zeigt nur, daß Brooks Konzept in seiner vollkommenen Schlichtheit immer noch jedem Regiebombast überlegen ist, mit dem deutsche Regisseure ihr Publikum langweilen. Till Briegleb
Peter Brook: „Impressionen von Pelléas“. Nach „Pelléas und Mélisande“ von Claude Debussy und Maurice Maeterlinck, am Hamburger Schauspielhaus. Regie: Peter Brook, Bühne und Kostüme: Chloä Obolensky, Licht: Jean Kalman, Transkription für zwei Klaviere: Marius Constant. Mit: Vincent Le Texier, Jungwon Park, Jean-Francois Lapointe, u.a. Nächste Aufführungen: 12., 13., 14.2. Danach in Frankfurt: Theater im Turm am Bockenheimer Depot vom 30.3. bis 3.4.
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