Heuchler bleiben unbenannt-betr.: "Versagt hat das Establishment", Kommentar von Pascale Hugues, taz vom 1.2.93

betr.: „Versagt hat das Establishment“, Kommentar von Pascale Hugues, taz vom 1.2.93

Pascale Hugues, Deutschlandkorrespondentin von Libération, hilft der deutschen Gesellschaft über scheinbar unnötige Selbstzweifel hinweg und preist „ungeniert“ das französische Vorbild einer großen Demonstration gegen Antisemitismus hinter dem Staatspräsidenten Mitterrand als „Erfüllung der sozialen Pflicht“. Die Lichterketten in Deutschland wertet sie als Ausdruck einer nicht näher bezeichneten „Zivilgesellschaft“ in „muteinflößendem Bewußtseinsprozeß“. Deren Angst vor strenger Reaktion des Auslandes ist folglich unbegründet, wie sie als Teil davon in der taz und Libération zeigt. Es bleibt ihr nur die Umwandlung des großen Deutschlands in eine Integrationsgesellschaft einzufordern, Einwanderungsgesetz und Auflösung des Blutrechts.

Während in Frankreich derartige Einbürgerungsgesetze bestehen, hat der Demonstrationsführer Mitterrand nicht darauf verzichtet, einen Ehrenkranz für den Faschisten Pétain niederzulegen, was zeigt, wie wirkungslos eine soziale Pflichtübung sein kann.

Warum ist es dem christlichen Kanzler Kohl ähnlich möglich, auf einer großen Demonstration, rassistische Gewalttaten zu verurteilen und gleichzeitig von ihm mit inszenierte rassistische Gesetze walten zu lassen?

Dagegen zeigen die DemonstrantInnen mit ihren Kerzen ehrlich gemeinte Toleranzbereitschaft oder christliche Nächstenliebe, geben aber keine Antwort auf den Abriß des Asylrechts mit rassistischer Begründung. Gegen politische Ausgrenzung wird friedliche Koexistenz demonstriert.

Die Ablehnung von Rassismus bedeutet also nicht gleichzeitig die folgerichtige politische Forderung nach sozialer Gleichheit, also auch Gleichheit in der Zweidrittelgesellschaft und gegen ihre Beschaffenheit. Sie wird sicher von der Mehrheit, Gewalt gegen Ausländer nur von einer Minderheit, akzeptiert. Aus diesem Grund war die große Berliner Demonstration anläßlich der faschistischen Machtergreifung vor 60 Jahren kein politisches Bekenntnis gegen die schlicht asoziale Ausgrenzungspolitik der Regierung Kohl, die weiterhin gegen ausländische wie deutsche „Sozialhilfeschmarotzer“ agitiert.

Die „Transmission“ der Sympathiekundgebung für Ausländer in soziale Politik des „Establishments“, von der Giordano und offensichtlich auch Pascale Hugues träumen, kann jedenfalls nicht durchgesetzt werden, solange die Heuchler weiter unbenannt mit in den antirassistischen Chor einstimmen können, als sei Rassismus eine rechtsextreme Randerscheinung.

Weil die taz das benennt, ist sie mir viel lieber als die Libération, die selbst in schlechten Momenten noch ein mildes Wort für die regierenden Sozialisten findet. Alexander Neumann, Paris