Irlands Neutralität: Heilige Kuh ohne politischen Biß

■ Durch die Hintertür ist der neutrale Status der Insel längst aufgeweicht

Mazedonien? Der damalige irische Außenminister David Andrews war auf der Pressekonferenz am Ende des Edinburgher EG- Gipfels im vergangenen Dezember ratlos. Schließlich kramte er ein Papier aus der Aktentasche und übergab es mir mit den Worten: „Hier ist die EG-Erklärung zu Mazedonien.“ Es war jedoch lediglich der Entwurf, die endgültige Erklärung war nach dem Einspruch Griechenlands längst geändert worden. Die Kollegen von der irischen Presse standen ihrem Minister bei: „Das konnte er nicht wissen“, sagten sie. „Mazedonien ist so weit weg für uns in Irland.“ – Irland gehört nicht der Nato an, die Insel ist neutral – zumindest auf dem Papier. Diese Neutralität ist jedoch schwammig und negativ formuliert: „Solange ein Nato-Mitgliedsland – nämlich Großbritannien – einen Teil unseres Landes besetzt hält, können wir nicht Mitglied dieser Organisation werden.“ Nur die wenigsten begreifen die Neutralität als Chance, zumeist ist sie mit der insularen Ignoranz bezüglich außenpolitischer Ereignisse zu erklären. Die Scheuklappen werden lediglich dann abgelegt, wenn es um humanitäre Hilfe geht: Irland spendete bei den Hungerkatastrophen in Afrika mehr Geld pro Kopf der Bevölkerung, als jedes andere Land der Welt.

Den PolitikerInnen ist die Neutralität inzwischen eher lästig, weil sie sich deshalb offenbar nicht als vollwertige EuropäerInnen fühlen, sondern bei manchen Debatten in Brüssel am Katzentisch Platz nehmen müssen. Bereits 1970 sagte der damalige Außenminister und spätere Präsident Patrick Hillery in Hinblick auf Irlands Antrag auf EG-Mitgliedschaft: „Wir müßten in politischen und wirtschaftlichen Fragen eng zusammenarbeiten und auch an gemeinsamen Aktionen teilnehmen, zum Beispiel an der Verteidigung des neuen Europa.“ Er getraute sich jedoch nicht, diesen Satz in den Referendumstext über den EG-Beitritt aufzunehmen, denn die Neutralität ist nach wie vor eine heilige, wenn auch diffuse Kuh. Bei Meinungsumfragen sprechen sich regelmäßig etwa 85 Prozent der Befragten für die Beibehaltung der Neutralität aus, die jedoch vor allem als Nichteinmischung verstanden wird. Zweifellos hängt das mit den schlechten Erfahrungen während der jahrhundertelangen britischen Einmischung in Irland zusammen. Jedenfalls hat es bisher noch keine irische Regierung gewagt, an diesem Punkt zu rütteln.

Durch die Hintertür ist die Neutralität freilich längst aufgeweicht. So erhielten die US-amerikanischen Militärflugzeuge während des Golfkriegs ohne weiteres die Überflugrechte und durften zum Auftanken auf dem westirischen Flughafen Shannon landen. Aufgrund der „europäischen politischen Kooperation“ weigerte sich Irland auch, die Bombardierung Libyens durch die USA zu verurteilen. Und umfassende Sanktionen gegen das südafrikanische Apartheid-Regime wurden nie angewendet, weil die irische Regierung auf eine Übereinkunft aller EG-Länder wartete, die erwartungsgemäß am britischen Veto scheiterte. Ralf Sotscheck