■ Das Portrait
: Claudio Martelli

Der ragazzo, der „Junge“, wie Claudio Martelli wegen seines jugendlichen Aussehens genannt wird, ist zwar schon 49, doch ernsthafte Zeichen einer Eigenentwicklung konnte man erst in den letzten Monaten erkennen. Genauer: Seit sein Chef Bettino Craxi, dessen Kronprinz er war, sich als immer weniger haltbar erwies und bereits das sechste Verfahren wegen Korruption am Hals hat.

Da kam dem gerade als Justizminister amtierenden Youngster die Idee, sich an die Spitze einer Saubermann- Aktion zu stellen. Seither spricht er unentwegt von der „Alternative zum bisherigen Parteiensystem“, von der „Zerstörung des Schmiergeldsystems“, seither will er nur noch „unverbrauchte Gesichter“ in der Regierung sehen und meint, die PSI könne nur durch ihn gesunden. Wiederum genauer gesagt: Er meinte es bis Mittwoch. Dann kündigte ihm die Staatsanwaltschaft Mailand Ermittlungen wegen Beteiligung am betrügerischen Bankrott der 1982 zusammengebrochenen „Banco ambrosiano“ an, und Martelli mußte zurücktreten. Sein gleichzeitiger Austritt aus der Sozialistischen Partei zeigt, wen er hinter dem von ihm vermuteten Komplott sieht: seinen eigenen Chef.

Für viele Sozialisten, aber auch für die oppositionellen Linken und die Republikaner galt Martelli als Hoffnungsträger, weil er sich dem arg DC-verbandelten Craxi entgegenstellte. Wobei unklar ist, wie man diesem völlig im Schoß des korrupten Machtkartells aufgewachsenen Mann einen Neuanfang zutrauen konnte. Unvergessen, wie er in den achtziger Jahren Craxis Mann fürs Grobe war, der innerparteiliche Gegner fertigmachte. Wie er als stellvertretender Ministerpräsident alles tat, den Anti-Mafia- Pool von Palermo zu zerschlagen. Wie er als Justizminister den Oberermittler Falcone von dort nach Rom wegholte. Und wie er in den letzten Monaten als Justizchef die Ermittlungen der kalabrischen Staatsanwaltschaften über die enge Verbindung von kriminellen Geheimlogen und sozialistischen Regionalpolitikern blockierte.

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Seine Demission war sicherlich nicht der letzte politische Akt – im Gegenteil. Nicht wenige sind sicher, daß er damit versucht, schnell aus den Schlagzeilen zu verschwinden und mit milder Strafe oder ganz ungeschoren davonzukommen. Dann hat er für ein Comeback wesentlich bessere Karten als sein uneinsichtiger Chef Craxi. Werner Raith