Frankreich erlebt Sozialdumping

Hoover schließt französische Fabrik und diktiert in Schottland miserable Arbeitsbedingungen/ Grundig droht mit Umzug nach Wien  ■ Aus Paris Bettina Kaps

Der Europäische Binnenmarkt zeigt seine Schattenseiten. Multinational tätige Unternehmen beginnen bereits, ihre Firmen innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) dorthin zu verlagern, wo sie die billigsten Arbeitsbedingungen finden. Der Trend zum Sozialdumping trifft vor allem französische ArbeiterInnen. Heute will beispielsweise die Firmenleitung von Grundig in Fürth entscheiden, ob sie die französische Montagefabrik für Fernsehgeräte im lothringischen Creutzwald (nahe Metz) schließen wird, um die Produktion nach Wien zu verlegen.

Die Verlegung der Fabrik könnte der Firma Grundig, deren Hauptaktionär der niederländische Philips-Konzern ist, Einsparungen bei Steuern und Personalkosten bringen. Für die 918 Menschen, die in Creutzwald beschäftigt sind, hieße das Arbeitslosigkeit. Gegen die Verlegung demonstrierten denn auch am Mittwoch etwa 3.000 Menschen in der 15.000 Einwohner zählenden Stadt.

Grundig besitzt derzeit mit Creutzwald, Wien und Fürth drei Produktionsstätten in Europa. Die französische würde geschlossen, obwohl sie rentabel arbeitet.

Die österreichische Regierung will den Transfer mit Subventionen unterstützen, die im EWR erlaubt, innerhalb der EG aber verboten sind. Ein Zuschuß in Höhe von 350 Millionen Schilling (50 Millionen Mark) ist im Gespräch; zudem soll die Firma die Erlaubnis erhalten, zollfrei aus Südostasien Braunsche Röhren einzuführen. Via Österreich visiert Grundig zudem den „weiten Osten“ an. Die Module für die TV-Geräte sollen in Ungarn, später auch in anderen osteuropäischen Billiglohnländern gebaut werden. In Wien soll dann nur die Montage erfolgen. Französische Gewerkschafter fordern daher jetzt von Industrieminister Strauss-Kahn, dafür zu sorgen, daß Österreich sich bereits vor seinem gewünschten EG-Beitritt an die gemeinschaftlichen Regeln halten solle.

Das Schicksal, das den Grundig- Beschäftigten droht, hat ihre KollegInnen von der Staubsaugerfirma Hoover in Longvic bei Dijon bereits ereilt. Obwohl die Fabrik selbst nach Angaben der Direktion produktiv arbeitete, hat die US- amerikanische Muttergesellschaft Maytag Ende Januar beschlossen, den französischen Sitz zu schließen und alle Aktivitäten nach Schottland zu verlagern. In Burgund werden also in Kürze 600 bis 700 ArbeiterInnen auf der Straße stehen. Im schottischen Cambuslang, einem Vorort von Glasgow, will die Firma dafür lediglich 400 Stellen schaffen. Weiterer Kostenvorteil für Maytag: Das Unternehmen konnte in Großbritannien Arbeitsbedingungen durchsetzen, die an das 19. Jahrhundert erinnern. Die Arbeitsverträge sind auf zwei Jahre begrenzt, die Löhne unterdurchschnittlich, das Streikrecht eingeschränkt, und im Krankheitsfall gibt's keine Lohnfortzahlung.

Ein schottischer Gewerkschaftsvertreter sagte, unter dem Druck der Arbeitslosigkeit in seiner Region habe er dem Vertrag „mit dem Messer an der Gurgel“ zugestimmt; in Schottland beträgt die Arbeitslosigkeit in einigen Gegenden bis zu 40 Prozent. Kein Wunder also, daß die Firmenleitung argumentieren kann, die Herstellungskosten in Schottland lägen ein Viertel niedriger als in Frankreich. Während das Vorgehen von Maytag in Frankreich bei linken und rechten Politikern Proteste ausgelöst hat, begrüßte Britanniens Premierminister John Major die Entscheidung der Firmenleitung und kündigte weitere Einschränkungen des Streikrechts in Großbritannien an.

Die französischen und britischen ArbeitnehmerInnen müssen jetzt ausbaden, daß die EG zwar den Waren- und Kapitalverkehr liberalisiert, jedoch kein europäisches Arbeits- und Sozialrecht entwickelt hat. Die Briten waren stets Hauptgegner derartiger Schutznormen. Darüber hinaus haben die übrigen elf EG-Regierungen akzeptiert, daß Großbritannien beim „Abkommen über die Sozialpolitik“ des Maastrichter Vertrags nicht mitmacht.

Die beiden Fälle werfen auch ein Licht auf die Schwäche der Gewerkschaften, die es nicht geschafft haben, sich auf EG-Ebene zusammenzuschließen. So haben sich die französischen Gewerkschaftsvertreter von Grundig vor sechs Monaten zum ersten Mal mit der IG-Metall und den österreichischen Kollegen getroffen. Diese Woche demonstrierten sie mit französischen und schottischen Gewerkschaftsvertretern von Hoover in Brüssel – nachdem die Entscheidung bereits gefallen war.