Bundeswehr in alle Welt nur mit neuem Grundgesetz

■ Bundestag hörte Juristen zu Einsätzen außerhalb des Nato-Gebiets an

Bonn (taz) – „Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt“, so heißt es in Artikel 87a der Verfassung. Läßt sich diese scheinbar klare Formulierung so interpretieren, als seien heute schon weltweite Militärinterventionen der Bundeswehr vom Grundgesetz gedeckt?

Diese Frage, die von der Bundesregierung bis ins letzte Jahr stets verneint wurde, seit einiger Zeit aber von der CDU/CSU und vielen Staatsrechtlern bejaht wird, stand im Mittelpunkt, als der Rechtsausschuß gestern Juristen und Politologen anhörte und um ihre Meinung zu einer Grundgesetzänderung bat.

Das Grundgesetz erlaube heute schon UN-Einsätze der Bundeswehr, das sei die Meinung der „ganz, ganz überwiegenden“ Mehrheit der Staatsrechtler, versicherte der von der Union benannte Berliner Professor Albrecht Randelzhofer. Sein Bonner Kollege Josef Isensee meinte, die Bundesregierung sei nicht einmal gehalten, den Bundestag zu befragen, bevor sie Soldaten zu Kampfeinsätzen entsende.

Doch die Mehrheit der gestern angehörten Experten widersprach dem. Auch der Mainzer Professor Eckart Klein, von der FDP geladen und bis vor kurzem selbst der Auffassung von Randelzhofer und Isensee, erklärte eine Verfassungsänderung für „unabdingbar“, wolle die Bundesrepublik Soldaten zu Einsätzen Out-of-area entsenden. Während Randelzhofer und Isensee in dem von Union und FDP vorgelegten Vorschlag für eine Grundgesetzänderung eine „Restriktion“ der jetzigen Rechtslage sahen, ging den meisten anderen Experten der Koalitionsvorschlag zu weit.

Der Bremer Professor Ulrich K. Preuß, von Bündnis 90/Grünen benannt, warnte vor einer „Rückkehr zur alten Politik der Militärallianzen“ und einer Abkehr vom Geist des Grundgesetzes, sollten auch Militärinterventionen ohne UNO- Autorisierung möglich werden.

Angreifer rechtfertigten sich stets damit, in „Selbstverteidigung“ zu handeln, erinnerte der Frankfurter Professor Michael Bothe. Deshalb führe der von der Regierungskoalition gewählte Begriff der Nothilfe für Angriffsopfer zu einer „erheblichen Rechtsunsicherheit“.

Noch schärfer formulierte dies Ernst-Otto Czempiel von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung. UNO-Interventionen zur Friedenserzwingung seien zwar notwendig, hier bleibe auch die bisherige SPD-Haltung hinter den Notwendigkeiten zurück.

Andererseits, so der von der SPD geladene Professor, unterscheide nur ein echtes UNO-Oberkommando „eine durch die internationale Organisation legitimierte und angeordnete Strafaktion vom Expeditionskorps des klassischen Mächtekonzepts“. Diese Legitimation habe im Golfkrieg gefehlt und Saddam Hussein in der öffentlichen Meinung der arabischen Welt „unnötig strategische Vorteile verschafft“. Ähnlich äußerte sich Preuß: Bisher sei es noch kein einziges Mal zu UNO- Kampfeinsätzen gekommen, die dem Wortlaut der UNO-Charta gefolgt wären. Hans-Martin Tillack