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Zwar bestreitet Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Berndt Seite (CDU), daß der ominöse Aktenfund auf einer Müllkippe mit der gestern verkündeten Entlassung seines Innenministers Lothar Kupfer in Zusammenhang stehe. Dennoch zeigt der neue Skandal im Schweriner Schloß, daß die Schlampereien im Landesinnenministerium Methode haben. Von Bettina Markmeyer

Die Akte Kupfer zum Altpapier

Wer einen Polit-Thriller verfassen möchte und auf der Suche nach Geschichten ist, die das Leben schreibt, der mache sich auf den Weg ins 600-Seelen-Dorf Hohen Viecheln am nördlichen Ende des Schweriner Sees. Dort angekommen, begebe er sich auf die Hohen Viechelner Müllkippe, auf der – so scheint's – in regelmäßiger Folge Akten aus dem Schweriner Innenministerium landen – teils vollständig und lesbar, teils in gehäckselter Form. Einen blauen Müllsack, ein derartiges Aktengemisch beinhaltend, fand am 17.März des letzten Jahres der Mecklenburger Schriftsteller Horst Matthies. Kein Zufall, denn da Matthies im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme eine Ortschronik verfassen soll, begibt er sich häufig auf besagte Müllkippe, in der Hoffnung, „wendespezifisch Weggeworfenes“ zu finden. Das Material wollte der Schriftsteller bei Gelegenheit zu einem Collage-Roman mit dem Titel: „Der Ministerialrat auf dem Müll“ verarbeiten; er sei dazu aber wegen seiner Ortschronik bisher nicht gekommen.

Was Matthies an jenem 17.März fand, nahm er also – wie anderes auch – mit nach Hause und machte einstweilen kein Aufsehen davon. Erst am letzten Dienstag sah er Anlaß, seinen Fund der SPD-Fraktion im Schweriner Schloß zu präsentieren. Dort ordnete man, las und staunte – und ging am Mittwoch mit geradezu atemberaubenden Neuigkeiten an die Öffentlichkeit, den Regierungsskandalen im und rund ums Schloß einen weiteren hinzufügend. Gefunden hatte der Schriftsteller, den die SPD gestern der Presse vorstellte, so ziemlich alles, was ein normaler Bürger nicht finden darf: Personalunterlagen und Beförderungsschreiben, vertrauliche Vermerke von Abteilungs- und Referatsleitern, eine Liste von über hundert Munitionslagern in den neuen Bundesländern mit jeweils genauen Ortsangaben sowie das Protokoll einer Kabinettssitzung der Schweriner Landesregierung aus dem Jahre 1991. Die bunte Mischung könnte darauf hindeuten, so spekulierten gestern amüsierte Beobachter im Landtag, daß „ein hohes Tier“ im Innenministerium damals „seinen Schreibtisch ausgemistet“ hatte.

Unter den nicht gehäckselten Unterlagen befand sich – und dies nun könnte „im psychologischen Bereich eines der auslösenden Momente für Kupfers Entlassung gewesen sein“, spekulierte gestern der Sprecher der FDP-Fraktion, Christian Beese, gegenüber der taz – auch ein Fax von der Rostocker Polizeidirektion an das Landespolizeiamt in Schwerin und den damaligen Staatssekretär im Innenministerium, Volker Pollehn, mit Datum vom 15.3.1992, das der spätere Einsatzleiter von Rostock und damalige Leiter des Führungsstabs der Rostocker Polizei, Jürgen Deckert, unterschrieben hat. Dieser Name, der ihm aus den jüngsten Presseberichten über die Krawallnächte hinlänglich bekannt war, habe ihn schließlich bewogen, sagte ABM-Heimat-Chronist Horst Matthies gestern, seinen Fund den im Schweriner Untersuchungsausschuß um die Aufklärung ringenden SPD-Abgeordneten anzuvertrauen.

Die Akten liegen inzwischen bei der Staatsanwaltschaft, und die ermittelt. Der Polizeibericht über den „Überfall auf das Asylantenwohnheim in Saal (Kreis Ribnitz- Damgarten)“, den Matthies der SPD vorlegte, könnte im Untersuchungsausschuß noch eine Rolle spielen. Erst im nachhinein will damals die Rostocker Polizei von einem Wachmann namens Fechner erfahren haben, daß ein Mann, der am Abend des 13.März in einem Trabant vorgefahren war, den Überfall auf das abgelegene Heim in ehemaligen Baracken der GUS- Streitkräfte mit den Worten angekündigt hatte: „Morgen abend rücken wir an.“ In der Nacht des 14.März zwischen 22.30 und 23.00 Uhr hatten dann etwa dreißig deutsche Jugendliche aus den umliegenden Gemeinden das Saaler Asylbewerberheim überfallen. Drei von ihnen waren mit Baseballschlägern auf den Rumänen Dragomir C. losgegangen und hatten ihn erschlagen. Dragomir C. war der erste von siebzehn Toten, die im letzten Jahr rechter Gewalt zum Opfer fielen. Im Saaler Heim war er nur zu Besuch gewesen. Gelebt hatte er bis zu seinem Tod in Rostock-Lichtenhagen. Die Polizei, die von dem angekündigten Überfall nichts wußte, kam in jener Nacht des 14.März 1992 zu spät und konnte nur noch die Leiche abtransportieren lassen.

Der Bericht des Polizeioberrats Deckert an das Landespolizeiamt in Schwerin und den Staatssekretär schließt wie folgt: „Es wird nochmals darauf hingewiesen, daß es keine (Hervorhebung durch Deckert) Anhaltspunkte für eine politisch motivierte Tat gibt. Bisherige Erkenntnisse belegen zweifelsfrei, daß es sich um eine Auseinandersetzung handelte, wie sie im Bereich rivalisierender Jugendgruppen immer wieder zu registrieren ist.“ Deckert begründete seine Einschätzung damit, daß dem Überfall auf das Asylbewerberheim eine Kneipenschlägerei zwischen Deutschen und Rumänen im Nachbardorf vorangegangen war, bei der ein Deutscher verletzt worden war.

Zusammenhang mit Kupfers Entlassung bestritten

In Schwerin wurde gestern heftig bestritten, daß der ominöse Aktenfund auf der Müllkippe von Hohen Viecheln im Zusammenhang stehe mit der Entlassung des Innenministers Lothar Kupfer (CDU). Tatsächlich war Kupfer noch nicht im Amt, als jene Innenministeriums- Akten auf derart schlampige Weise „entsorgt“ wurden. Gleichwohl zeigt aber der Entsorgungsakt, wie man damals und heute im Innenministerium und bei der Polizei Mecklenburg-Vorpommerns mit der tödlichen Gewalt gegen Ausländer umgeht. Zwei Tage nach dem Empfang im Innenministerium findet sich ein fragwürdiger Polizeibericht über einen Überfall auf ein Asylbewerberheim, bei dem ein Mann totgeschlagen wird, auf dem Müll.

Und fünf Monate später leitet derselbe Polizeioberrat, der an dem Rumänen-Mord von Saal nichts Ausländerfeindliches finden konnte, den Polizeieinsatz von Rostock-Lichtenhagen, der sich zum größten politischen Desaster nach der Wende entwickeln sollte. Nicht nur seine Polizei-Vorgesetzten Siegfried Kordus und Hans-Heinrich Heinsen, sondern auch Innenminister Kupfer lassen ihn, so formuliert es Deckert später vor dem Untersuchungsausschuß, „politisch allein“.

Heute nun wird Lothar Kupfer (CDU) die einzige Urkunde ausgehändigt, die seine Leistungen als Innenminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern angemessen würdigt: die Entlassungsurkunde. Überreicht wird dem Ex- Minister das Dokument allerdings von einem Mitstreiter, der den Verlust seines Postens nicht weniger verdient hätte. Der derzeitige Ministerpräsident Berndt Seite (CDU) feuert Kupfer nur, um nicht selbst gehen zu müssen.

Und noch als in den letzten zwei Wochen deutlich wurde, daß das Kupfer-Ministerium genau jene Unterlagen nicht an den Rostock- Untersuchungsausschuß des Landtags weitergeleitet hatte, die die Verhandlungen zwischen Polizei und RandaliererInnen über einen „Waffenstillstand“ in der Brandnacht des 24.August 1992 dokumentieren, sah der Ministerpräsident keinen Grund dazu, den Innenminister auf seine Pflichten gegenüber dem Ausschuß hinzuweisen. Dabei war seitens des Innenministeriums gezielt verzögert und vertuscht worden – und noch bei seiner Anhörung vor dem Untersuchungsausschuß, knapp ein halbes Jahr nach den Rostocker Pogromen, wollte Kupfer nichts gehört und nichts gesehen haben, kurz: er hatte von nichts „Kenntnis“ und war vor allem für nichts, aber auch gar nichts verantwortlich. Nun wird er wenigstens zur Kenntnis nehmen müssen, daß er entlassen worden ist – ein mecklenburgisches Bauernopfer.

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