Politischer Interruptus

■ Für Hamburgs Initiative zur ärztlichen Vergabe von Heroin fehlte gestern im Bundesrat eine Stimme / Keine Ablehnung, aber neue Beratung

fehlte gestern im Bundesrat eine Stimme / Keine Ablehnung, aber neue Beratung

Einen Schritt vor und zwei zurück. Nach erfolgversprechenden Abstimmungen in den Ausschüssen kippte gestern Rheinland-Pfalz im Bundesrat als Zünglein an der Waage die Hamburger Gesetzesinitiative für eine ärztliche Vergabe von Heroin. Um keine Ablehnung des Antrags zu kassieren, wurde er erneut an die Ausschüsse zurückverwiesen. Ob sich die Pfälzer GenossInnen dort noch umstimmen lassen, ließen sie gestern offen.

Die Hamburger Initiative war im Mai 1992 in den Bundesrat eingebracht worden. Bürgermeister Henning Voscherau hatte damals an den Mut der Länder appelliert, angesichts der Verelendung der Abhängigen neue, mutige Schritte in der Drogenpolitik zu wagen. Die beantragte Änderung des Betäubungsmittelgesetzes hätte es den Ländern ermöglicht, in Modellversuchen an langjährige Heroinabhängige vom Arzt verschriebenes Heroin auszugeben. In der Hansestadt war ein fünfjähriges Erprobungsverfahren für 200 Junkies vorgesehen.

Die Zahl von über 2000 Drogentoten im Jahr belege, so Voscherau, daß die repressive Politik in der Vergangenheit versagt habe, und daß auch die Erprobung anderer Wege neben den herkömmlichen Therapieformen und der Substitution erforderlich sei. Der politische Vorstoß, der von konservativen Politikern vielfach als Kapitulation vor dem Drogenelend bezeichnet wurde, orientiert sich aber an einer seit Jahren in Großbritannien erfolgreich praktizierten Behandlungsform. Dort wurde durch die ärztliche Verschreibung von Heroin nicht nur die Sterberate fast auf Null gesenkt, sondern auch die Beschaffungskriminalität erheblich reduziert.

Für den Rückzieher von Rheinland Pfalz gab es allerdings schon Vorboten. Zwar hatte das Land im Gesundheitsausschuß noch zugestimmt, zeigte sich jedoch im Rechts- und Innenausschuß bereits bockig. Offensichtlich wollte die regierende SPD den Koalitionspartner FDP nicht völlig verschrecken. Voscherau und Sozialsenator Ortwin Runde nahmen die Entscheidung zwar mit Bedauern zur Kenntnis, werteten sie aber nicht als Scheitern. „Politik ist das Bohren dicker Bretter. Wir machen weiter“, erklärte Sozialsenator Runde gestern. Für Voscherau ist nach Diskussionen mit Fachleuten erwiesen, wie wichtig dieser Modellversuch ist. Schließlich hatten im vergangenen Sommer zuerst fast alle SPD-regierten Länder mit Ablehnung auf Hamburgs Vorstoß reagiert und sich dann doch im Laufe des Jahres überzeugen lassen. Sannah Koch