Eigene Rechte für die Natur

■ Ohne Erneuerung droht der totale Umweltstaat / Juristen suchen den ökologischen Rechtsstaat

Der ökologische Notstand führt unweigerlich zum totalitären ökologischen Staat — nur die konsequente Erneuerung der Industriegesellschaft kann den Verlust der individuellen Freiheit verhindern. Diese düstere Analyse ist das Ergebnis einer Tagung von Umweltjuristen, zu der das Bremer Institut für Umweltrecht und Umweltsenator Ralf Fücks vergangenes Wochenende eingeladen hatten. Den effektiven Schutz der Umwelt zu gewährleisten und gleichzeitig den demokratischen Gehalt unseres Staates zu bewahren und auszubauen war das Anliegen der Anwesenden.

Das Schreckgespenst der „Ökodiktatur“ geisterte wie ein roter Faden durch die Veranstaltung. Ins Leben gerufen wurde es durch den Berliner Verfassungsrechtler Professor Michael Klöpfer, der den Umweltschutz in einem besonderen Spannungsverhältnis zur persönlichen Freiheit sieht. Einerseits bedrohe die Zerstörung der Natur zunehmend die grundgesetzlich geschützten Freiheitsrechte der Bürger. „Das Recht zur freien Nutzung des Eigentums des einen kann das Recht auf körperliche Unversehrtheit des anderen einschränken“, meinte Kloepfer, Mitautor des sogenannten „Professorenentwurfs“ für das neuzuschaffende Umweltgesetzbuch.

Aber auch verstärkter Umweltschutz stellt für ihn eine Freiheitsbedrohung dar:“Umweltauflagen greifen immer tiefer in die Handlungsfreiheit von Unternehmern und Konsumenten“, meinte Kloepfer. Damit werde die Idee der bürgerlichen Verfassung, „den Bürger vor der Zudringlichkeit des Staates zu schützen, zunehmend auf den Kopf gestellt“. Der Staat stehe somit in der Zwangslage, die Gesellschaft nicht durch die Reglementierung jeglicher Aktivitäten abzutöten und gleichzeitig einen effektiven Schutz der menschlichen Lebensgrundlagen zu gewährleisten. „Die ökologische Krise führt schnell zu einer Staatskrise. Eine funktionierende Umwelt ist daher Grundvoraussetzung des demokratischen Verfassungskonsenses“, so das Resumee Kloepfers. Der These, daß die bisherigen Umweltschutzmaßnahmen überhaupt eine Beschränkung der Freiheit der Bürger darstellen, wollten die überwiegende Zahl der Anwesenden nicht folgen.

Die Kontroverse machte deutlich, daß der Begriff der Freiheit im Zentrum der Diskussion um den ökologischen Rechtsstaat steht. Unzweifelhaft war, daß der Aufbau eines ökologischen Rechtsstaates eine Ökologisierung aller Rechtsgebiete notwendig macht, also auch vor der Verfassung nicht halt machen kann. Bisher garantiert das Grundgesetz, wie die Verfassung aller anderen bürgerlichen Staaten auch, jedem Menschen die freie Entfaltung seiner Person — solange er dadurch die Entfaltungsmöglichkeiten anderer nicht einschränkt. Zur Sicherung dieser Freiheitsrechte sieht das Grundgesetz ein ausgeklügeltes System von Abwehrrechten vor. Mit ihrer Hilfe können sich die Bürger gegen die Versuche des Staates wehren, ihre Freiheit einzuschränken. damit garantiert die Verfassung allerdings auch die Freiheit, den privaten Wohlstand auf Kosten der Naturgüter zu steigern. Nach Ansicht von Professor Klaus Bosselmann (Universität Auckland, Neuseeland) muß daher die Freiheit der Naturnutzung erheblich eingeschränkt werden - ähnlich wie im 19. Jahrhundert die soziale Frage den Eingriff des Staates in die Unternehmensfreiheit erforderlich machte.

Als zentralen Eckpfeiler eines ökologischen Rechtsstaates fordert Bosselmann die Anerkennung eines Eigenrechts der Natur. In der westlichen Rechtsordnung wird nur zwischen Personen und Sachen unterschieden. Die Folge dieses Dualismus ist, daß nur Personen sich gegen Beinträchtigungen durch Umweltverschmutzung zur Wehr setzen können. Ist eine direkte Beeinträchtigung menschlicher Rechte nicht nachweisbar, besteht auch praktisch keine Möglichkeit, Umweltzerstörungen zu verhindern. Konkret heißt dies: Während die Freiheit eines Unternehmers bei der Gesundheitsbeeinträchtigung des Nachbarn endet, kommt einem ebenfalls benachbarten Waldstück dieser Schutz nicht zu. Der Wald hat kein eigenes Recht auf körperliche Unversehrtheit. Eingriffsmöglichkeiten ergeben sich nur dann, wenn durch die Zerstörung des Waldes Rechtsgüter anderer verletzt würden.

Die Vorteile eigenständiger Rechte für Naturgüter lägen nach Ansicht Bosselmanns auf der Hand: Ein Waldstück erhielte seine Bedeutung dann nicht aufgrund seiner Funktion als Holzlieferant oder Wasserspeicher für den Menschen, sondern müßte um seiner selbst Willen geschützt werden. Die verfassungsrechtliche Folge wären ökologische Grundrechtsschranken, wie sie auch eine verfassungsinitiative des Landes Bremen vorsieht, sowie die Ökologiebindung des Eigentums. Durch diese Neubestimmung der Bedingung menschlicher Freiheit, hörte die Natur auf, bloßes Objekt menschlicher Bedürfnisse zu sein. Die Rechte der nichtmenschlichen Natur sollten in Verwaltungs-und Gerichtsverfahren treuhänderisch durch Umweltverbände vertreten werden. Christopher Stone, Professor an der University of Southern California, Los Angeles, formulierte die Notwendigkeit einer solchen Treuhandschaft sehr einprägsam: „Es muß einfach jemanden geben, der sich um die Wiesen und die Bäche kümmert“.

Einen wirklich interessanten Kontrapunkt lieferte der Bremer Rechtssoziologe Professor Gerd Winter. Mit seiner provozierenden These „Wir denken zuviel an die Umwelt und zu wenig an uns“ machte er auf ein Defizit in der umweltpolitischen Diskussion aufmerksam: Dem Mangel an Nachdenken über Sinn und Zweck unserer Aktivitäten. Daß die einfache Frage: „Brauchen wir das?“ schon fast ausgestorben ist, bestätigte sich auch während der Tagung. Keiner der Teilnehmer stellte sie. Besonders beklagte Winter dieses Defizit in der Arbeitsmarktpolitik. Es werde versucht, Arbeitsplätze „um jeden Preis“ zu schaffen, ohne sich die Frage zu stellen, ob die damit verbundene Arbeit überhaupt wünschenswert sei. Winter ging noch weiter: „Ist die Erlangung von Vollbeschäftigung überhaupt ein erstrebenswertes Ziel, wenn diese nicht ohne Naturzerstörung herstellbar ist? Sollte stattdessen nicht über eine Neuverteilung der Arbeit nachgedacht werden?“

Vor dem Hintergrund dieser Gedanken kann man der These Kloepfers von der Janusköpfigkeit des Umweltschutzes eine gewisse Plausibilität nicht absprechen. Unter dem Aspekt der Freiheit macht es durchaus einen Unterschied, ob in einem breiten Diskurs über die Ziele der Gesellschaft diskutiert wird oder ob Expertenkommissionen ein engmaschiges Netz von Gesetzen, Steuern, Abgaben und Auflagen entwerfen. Im ersten Fall würde gefragt: „Brauchen wir Funktelefone?“, im zweiten würden sie eingeführt. Wilfried Schwetz