: Was dazwischen geschieht
■ Dokumentarfilme zum Ende der DDR im Forum: Gedächtnisarbeit
Die Arbeiter, die die Grenzanlagen beseitigen, bleiben wortkarg. „Erzählt mal, woran ihr Euch erinnert“, bittet Volker Koepp. Seine Gesprächspartner zucken die Achseln.
Szenenwechsel: Der Vorführraum im DEFA-Dokstudio, leere Sessel. Hier saß Krenz, dort Herrmann, Hager saß vorne und Ulbricht hinten. Die Filmemacher selbst erinnern sich genau. Die DDR-Mark, das FDJ-Hemd, der Trabi, Geschirr, Büromöbel, Spielzeug: Koepps „Sammelsurium“ betreibt Archäologie in eigener Sache, sortiert den Nachlaß der DDR und rekonstruiert die Vergangenheit „Ostelbiens“ (O-Ton) anhand seines ausrangierten Inventars. Koepp will die Dinge zum Sprechen bringen, leuchtet effektvoll aus, unterlegt mit Musik — „Pommerland ist abgebrannt“. Allein, sie schweigen trotzdem. Es kommt darauf an, woran – und wie – sich ihre Benutzer erinnern, welches Gesicht sie dabei machen — jetzt, zwei Jahre nach der DDR. In „Sammelsurium“ erfährt man darüber kaum etwas, umso mehr dafür in „Neues in Wittstock“.
Vielleicht lag es an der Mauer. Auffallend an den diesjährigen Berlinale-Beiträgen von ehemaligen DEFA-Dokfilmern ist ihr Gedächtnis, weniger das der Befragten, als das der Filme selbst. Die Sicht nach draußen war verwehrt, also sah man sich im Landesinneren um, in der Provinz, den sogenannten strukturschwachen Gebieten. Der gründliche, geduldige Blick förderte dabei oft mehr zutage als das offiziell Abverlangte. Eine Randbemerkung, ein Grinsen, eine Geste — darin steckte im besten Fall subversives Potential. Langzeitbeobachtungen waren jedenfalls eine DEFA-Spezialität: Nachrichten aus der inneren Emigration.
Nun werfen gleich zwei Filmteams einen Blick zurück auf die eigene Arbeit: Barbara und Winfried Junge in „Drehbuch: Die Zeiten“ auf ihre Golzow-Filme und die Geschichte eines Dorfs seit dem Mauerbau, Volker Koepp auf seine „Wittstock“-Dokumentationen, mit denen er 1974 begann. Eine selbstkritische Betrachtung über das Offiziöse dieser Filme und ihren konservierenden, affirmativen Charakter ist nicht dabei herausgekommen. Aber zumindest „Neues in Wittstock“ erzählt die Geschichte seiner Heldinnen weiter. Die Geschichte ihrer Gesichter.
Elsbeth, Edith, Renate. Drei Arbeiterinnen der Wittstocker Textil-Industrie. Renate, die älteste, bodenständig, nüchtern, selbstbewußt. Edith, die burschikose, sagte im ersten Film, befragt nach dem Sinn des Lebens: „Man wird geboren, man stirbt.“ Jetzt fügt sie hinzu: „Dazwischen hat sich viel ereignet“. Elsbeth ist die mit der Stupsnase, den klaren Augen und dem hübschen Gesicht. 1974 war sie frech, direkt, kokett — kaum ein Besucher des Forums von 1985 (damals lief die erste Zusammenfassung: „Leben in Wittstock“), der sich nicht in ihr Lachen verliebte. Bulgarien, sagte sie als Mädchen, sei ihr größter Wunsch. Und heiraten. Es klang nicht banal.
Renate und Edith sind heute arbeitslos, der Betrieb ist pleite, von der Treuhand verkauft. Der neue Besitzer verweigert telefonisch das Gespräch vor der Kamera. Die Straßenschilder in Wittstock wurden gegen neue eingetauscht, die Männer betrinken sich, die sowjetische Armee zieht ab. Elsbeth macht Kurzarbeit. Die Frauen lachen nur noch, wenn sie sich erinnern. An den 1. Mai zum Beispiel. Renate mochte das, die Paraden und die Würdigung der Arbeit. Sie zeigt ihre Urkunden und Medaillen. Eine Aktivistin, die sich heute von ihrer Kollegin Patiencen legen läßt.
Elsbeth hat immer noch klare Augen, aber wenn sie spricht, kriegt sie die Zähne kaum auseinander. In „Neues in Wittstock“ kann man sehen, wie Gesichter sich verschließen, wie das Lebendige erlischt und wie Menschen verhärmen, wenn sie erwachsen werden. Die Rückblenden auf die jungen Mädchen von vor zwanzig Jahren schmerzen, ähnlich wie die Rückblenden auf die Kinder von Golzow in „Drehbuch: Die Zeiten“. Mit dem Ende der DDR hat das vermutlich gar nichts zu tun.
Zwar gelten Trauer und Zorn der Filmemacher unübersehbar dem Ausverkauf ihres Staates; immer noch wird die Utopie gegen den realexistierenden Sozialismus verteidigt und der Kapitalismus angeprangert, wenn auch nur unterschwellig. Die Gesichter der Boutique-Verkäuferinnen, frisch aus dem Westen nach Wittstock importiert, wirken glatt, nichtssagend im Vergleich zu Edith, Renate und Elsbeth. Aber trotz dieses wohlfeilen, letzlich propagandistischen Kontrasts, gelingt es Volker Koepp in manchen Momenten, jenseits des Lamentierens über die allzuschnelle Wiedervereinigung zu zeigen, was es heißt, wenn ein Mensch, der dreißig Jahre lang gearbeitet hat, plötzlich nicht mehr gebraucht wird. Im Schweigen, Zögern und Stocken, in dem, was dem Sprechen vorausgeht und was ihm folgt, beharren die Frauen auf ihre Würde. Koepp hat das Vorher und Nachher nicht weggeschnitten. Darin liegt sein Verdienst. Christiane Peitz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen