Thoreau, Ginsberg und ich

■ Mariam Niroumand traf einen äußerst selbstbewußten Jon Jost, mit zwei Filmen im Forum vertreten

taz: Wie würden Sie den amerikanischen Kontext beschreiben, in dem Ihre Filme entstehen? Welchen Filmemachern oder Diskussionszusammenhängen fühlen Sie sich verbunden?

Jon Jost: Niemandem. In gewisser Weise bin ich isoliert; nicht absichtlich, aber ich treffe nicht allzu viele Filmemacher, sie sind meist arrogant und prätentiös.

Wenn es nicht andere Leute waren, die Sie zum Film gebracht haben, was war es dann?

Ich weiß es nicht, es war völlig irrational. Als Kind oder Jugendlicher habe ich mich nie besonders um Filme gekümmert. Auf der Designerschule, die ich besuchte, haben sie ein Paar Underground- Filme gezeigt. Dann während der Kubakrise bin ich ausgeflippt. Ich wollte erst nach Neuseeland auswandern. Als ich dann nicht in die Luft gejagt wurde, habe ich mir eben eine Kamera gekauft. Ich bin sehr froh, daß ich Autodidakt bin und nie auf einer Filmschule war. Danach glaubt man nämlich nicht mehr, daß es möglich ist, einen schönen kleinen Film für fünfzig Dollar zu machen. Die beiden Filme, die hier auf dem Forum zu sehen sind, waren absolut billig. Einer davon ist ein Epos, eine kleine häusliche Szenerie, aber ich bin sicher, Leute aus der Branche denken, dieser Film hat Millionen gekostet.

In den 60er Jahren hatte diese Abneigung gegen professionelle Arbeitsteilung in Filmstudios ja noch gewichtige politische und ästhetische Implikationen, das „direct cinema“ ermöglichte eine maximale Kontrolle der Produzenten etc. Gelten diese Positionen für Sie noch heute?

Ja, zum Teil. Die Leute machten das damals, weil sie Künstler und Handwerker zugleich sein wollten. Man kann nicht gut sein, wenn man nicht wirklich alles kontrolliert. Die meisten Regisseure schneiden nie, stehen nie hinter der Kamera – ich mache das alles selbst, die Graphik, die Titel, die Animationen...

Die Filme, die ich in den 60er Jahren gemacht habe – „Speaking Directly“ zum Beispiel – waren den politisch Engagierten zu künstlerisch und den Künstlern zu politisch. Ich saß ein bißchen zwischen den Stühlen. Als ich 1966 aus dem Gefängnis kam [Jost hatte den Wehrdienst verweigert, d.R.], war ich in der Antikriegsbewegung engagiert. Dort hatten sie einfach sehr konventionelle Vorstellungen von Filmästhetik, die wollten eben Costa Gavras sehen.

Was sind die Konstanten ihrer fast dreißigjährigen Filmarbeit?

Was immer eine Rolle spielt – ob in den Filmessays oder den kleinen häuslichen Dramen wie „Sure Fire“ – es geht immer um die Überschneidung von privaten und öffentlichen Machtverhältnissen. Einer der Filme, die jetzt hier im Forum zu sehen sind, „The Bed You Sleep in“, ist eine poetisch erzählte Geschichte über sexuellen Mißbrauch. Sowohl in Deutschland wie auch in Amerika gibt es – im Gefolge der feministischen Bewegungen – eine regelrechte Hetzjagd auf Verdächtige. Erika Gregor vom Forum hat mir, nachdem sie den Film gesehen hat, gesagt, eine Frau würde niemals lügen, wenn es um Mißbrauch geht. Das heißt also, wenn eine Frau einen Mann beschuldigt und der streitet es ab, dann ist er mit Sicherheit schuldig! Ich glaube, der Film wird viele Leute zum weinen bringen und das Publikum nach Geschlechtern spalten. Während der Dreharbeiten entdeckten plötzlich einige Frauen, daß sie als Kinder mißbraucht worden waren. Vielleicht stimmt es, vielleicht aber auch nicht.

Wenn die Kultur, die einen umgibt, so bestimmend ist, worin besteht dann das Amerikanische an Ihren Filmen?

Alles an meinen Filmen ist amerikanisch. Ich bin so ein Archetyp, wie ihn Amerika hin und wieder als Gegengift gegen das ausspuckt, was es in Wirklichkeit ist: eine konformistische Gesellschaft. Und die ist wahnsinnig stolz auf ihre paar Individualisten, auf ihre Thoreaus, Allen Ginsbergs, Walt Whitmans oder solche Leute wie mich, die auf diese Ideologie hereingefallen sind und dann später dafür bestraft werden.

Oooch! Sie selbst sind auch nicht gerade zimperlich im Umgang mit ihren Zuschauern, oder? Das Ende von „Sure Fire“, der Mord des Vaters an seinem Sohn, zieht einem doch ganz bewußt den Boden unter den Füßen weg?

Ja, in der Tat. Die Absicht ist, dir in den Magen zu treten. Es ist kein kathartisches Ende, man wird nicht erlöst, da ist ein Vakuum. Leute, die auch nur annähernd eine ähnliche Erfahrung mit ihrem Vater hatten, haßten den Film, weil er sie so verletzt hat. Das bringt sie hoffentlich zum Nachdenken, was es heißt, in einer patriarchalischen Gesellschaft zu leben oder in einer matriarchalischen.

Hierzulande hat man sehr schlechte Erfahrungen mit gesellschaftlichen Verbrüderungsversuchen gemacht.

Ich glaube trotzdem, daß auf einer bestimmten Ebene alle gleich sein sollten. Ein Hausmeister kann doch nichts dafür, wenn seine genetische Ausstattung zu mehr nicht gereicht hat. Genausowenig bilde ich mir irgend etwas darauf ein, daß meine DNA mich zu einem ziemlich guten Künstler gemacht hat. Ich muß trotzdem immer noch darum kämpfen. Ich bin wie das kleine Kind, das sagt, der Kaiser ist nackt. Ich sage es einfach zu oft.

Sie bedienen sich so einer Art Schockpädagogik?

Was ich sehr gerne mache, auch in meinem zweiten Film, der jetzt im Forum zu sehen ist, das ist die totale Bedeutungsumkehr innerhalb einer Szene, innerhalb einer Einstellung, ohne Schnitt. „Frame Up“ ist ein Road Movie, dessen Protagonisten, ein Mann und eine Frau, am Ende durch die Todesspritze hingerichtet werden. Man sieht genau, wie die Chemikalien in die Haut eindringen (die Spritze ist echt). Das Mädchen schreit noch „Ich will leben“, der Mann ruft „Fuck you“; zunächst ist das alles noch lustig, in der nächsten Sekunde dann aber überhaupt nicht mehr. Das Publikum wird also zuerst noch lachen, wenn die beiden sterben. Aber dann muß es sich etwa eine Minute lang ihre Körper ansehen, und das ist dann eben nicht mehr so komisch. Dann werden sie ein schlechtes Gewissen haben.